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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt
Autoren: Ewald Arenz
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das leise Summen der Bienen taten ihr Übriges: Ihr wurden die Lider schwer.
    In diesem Augenblick erschütterte eine Explosion die Remise. Der Knall, trocken, scharf und laut, riss sie hoch. Noch in das Echo hinein regnete splitternd Glas auf den Boden, und irgendetwas Schwarzes segelte über Luises Kopf hinweg. Sie duckte sich erschrocken, aber es wäre nicht nötig gewesen, das Ding blieb im Laub des Walnussbaums hängen, und Luise erkannte, dass es ein schwarz emaillierter Topfdeckel war. Zwischen ihren Beinen wischte die Katze durch, das Fell vor Entsetzen so gesträubt, dass sie ein Drittel größer erschien als sonst. Luise rannte hinüber zum zerborstenen Fenster der Remise und versuchte hineinzusehen. Ihre Augen mussten sich nach der Sonnenhelle kurz an das Dunkel im Inneren gewöhnen, aber auch so sah sie, dass ihr Vater etwas fassungslos hinter der Werkbank stand, wo ein Bunsenbrenner immer noch mit blauer Flamme unter der Ruine eines Topfes brannte. Es stank durchdringend nach Alkohol.
    »Papa«, fragte sie durch das Fenster, »ist dir was passiert?«
    Ihr Vater schüttelte fast erbost den Kopf.
    »Das hätte nicht geschehen dürfen«, sagte er dann, als sei er persönlich beleidigt worden. Es schien nicht so wichtig zu sein, dass eben das Fenster zu Bruch gegangen war und wahrscheinlich bereits alle Nachbarn am Tor standen.
    »Was hast du da eigentlich gemacht?«, fragte Luise, dann fiel ihr etwas auf, und sie rief rasch: »Dein Bart glimmt!«
    Sie musste lachen, als ihr Vater sich hastig auf den Bart klopfte. Sie fand, dass er manchmal aussah wie ein russischer Mönch. Er war hager, und den langen Bart hatte er schon auf dem Hochzeitsfoto, das Luise sich vor langer Zeit aus seinem Schlafzimmer heimlich in ihr Nachttischchen geholt hatte und nachts ab und zu ansah.
    »Ich habe etwas ausprobiert«, antwortete ihr Vater, »einen Kräuterauszug. Ich dachte, es geht schneller, wenn man den Alkohol heiß macht, aber er ist übergekocht, hat angefangen zu brennen, und dann ist es in den Topf übergeschlagen.«
    Er drehte den Brenner aus. Dann sah er an sich herunter, schaute zu Luise hinaus und zuckte in komischer Hilflosigkeit die Achseln. »Ich bin manchmal seltsam, oder?«, fragte er.
    Luise hatte plötzlich ein warmes Gefühl, als sie antwortete: »Ja. Manchmal schon.«
    Aus dem Haus hörte man es läuten.
    »Die Leute wollen wissen, ob du tot bist«, sagte Luise.
    Ihr Vater sah verlegen aus. »Würdest du …«, fragte er bittend, »willst du gehen, ja?«
    Luise nickte mit halb spöttischem, halb mitfühlendem Gesichtsausdruck und lief hinüber ins Haus, von wo jetzt ungeduldiges und wiederholtes Läuten drang. Am Treppenabsatz im Flur begegnete ihr Luana, die aus der Küche kam und sich die Hände trocknete.
    »Ich gehe schon«, sagte Luise hastig, »und für Gottfried brauchst du nicht mehr zu kochen. Er ist tot.«
    Luana lachte erst, als sie wieder in der Küche war. Luise öffnete die Tür und sah sich dem Mesner gegenüber, der sie fragte, ob alles in Ordnung sei. Er habe einen Schuss gehört. Den Mesner mochte Luise nicht sehr. Sie hatte ihn noch nie lachen sehen. Manchmal kniete er sogar an Wochentagen in der Kirche vor dem Altar und betete murmelnd. Ein dünner Mann mit unruhigen Augen, die einen selten direkt ansahen. Er war nicht glücklich mit Luises Vater als Pfarrer. »Ein Glaubensfanatiker«, hatte der eines Sonntags seufzend gesagt, als er nach einer langen Diskussion mit dem Mesner über seine Predigt viel zu spät zum Essen gekommen war.
    »Alles in Ordnung«, sagte Luise fröhlich, »Papa musste nur den General erschießen. Unseren Hund. Er ist tollwütig geworden.«
    Der Mesner sah sie verständnislos an, und Luise fügte erklärend hinzu: »Der Hund. Nicht mein Vater.«
    »Sonst ist nichts passiert?«, fragte der Mesner misstrauisch nach.
    »Nein«, gab Luise bestimmt zurück, »sonst nichts.«
    Dann schloss sie die Tür. Luise hatte eine reiche, überschäumende Fantasie. Das zumindest fanden ihr Bruder und ihr Vater. Im Städtchen dagegen fanden einige, dass die Pfarrerstochter zu oft log. Aber die fanden ja auch den Vater komisch. Es war eine kleine, zuweilen sehr enge Welt, die sie umgab, und Luise dachte manchmal, dass der Garten des Pfarrhauses weiter war als die ganze Stadt.

2

    An diesem Abend lag Luise in ihrem Bett und wartete darauf, dass es im Haus still wurde. Weil sie noch zur Schule ging, musste sie auch im Sommer, wenn es abends eigentlich gar nicht dunkel werden
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