Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt
Autoren: Ewald Arenz
Vom Netzwerk:
abseits von den anderen aufgeschlagen hatte. Sie wollte eben ihre Decke nehmen und hinüber, aber dann sah sie, dass Georg alleine stand und seine Gitarre in ein Tuch schlug, und ging schnell zu ihm.
    »Ich will auch fliegen«, sagte sie leise. »Und du wirst bestimmt Pilot«, fügte sie noch leiser hinzu, als dürfte das kein anderer hören. Georg sah sie an. Sein Gesicht war in der Dunkelheit kaum zu erkennen, aber sie hörte an seiner Stimme, dass er lächelte, als er antwortete.
    »Na, vielleicht fliegen wir später beide mal. Schlaf gut.«
    Mehr war es gar nicht, aber Luise schlief wirklich gut in dieser Nacht, obwohl anscheinend alle Grillen sich in ihrem Zelt versammelt hatten und sie am frühen Morgen sogar eine aus ihrem Haar befreien musste.

4

    Sie arbeiteten nun schon seit einem halben Jahr an ihrem Flugzeug. Nachts konnten sie auch nicht so laut sein wie am Tage, obwohl die Werkstatt in der Vorstadt lag. Georg konnte dann nicht schmieden oder schleifen. Er konnte drehen oder zusammenschrauben, aber nicht hämmern. Und tagsüber hatten sie eben nur selten die Gelegenheit dazu. Georg war mit der Werkstatt seines Vaters eigentlich schon mehr als ausreichend beschäftigt, aber er hatte auch noch an der großen Hauptstraße, die nach München führte, eine Tankstelle eröffnet; die erste der kleinen Stadt. Deshalb waren es vielleicht die Samstagnachmittage, an denen Luise keine Schule hatte und Georgs Vater sich um die Tankstelle kümmerte, obwohl er das nicht gerne tat. Er hatte Fassreifen geschmiedet, Hufeisen und Pflüge, Radreifen und Eggen. Er war kein Freund von Motoren und Maschinen, auch wenn Georg manchmal sagte, es sei doch gar kein Unterschied, ob eine Mähmaschine von Pferden oder einem Motor angetrieben wurde: Georgs Vater mochte weder Automobile noch Motoren, und er hätte seine Werkstatt schon gar nicht für ein Flugzeug hergegeben. Deshalb mussten Georg und Luise auch immer alles wegräumen, wenn sie die Werkstatt verließen.
    Sie hatten diesmal wohl länger gearbeitet als sonst. Luise war so begeistert gewesen, dass der Stoff für die Tragflächen endlich gekommen war, aber dann war doch alles – wie immer – viel schwieriger gewesen, als sie gedacht hatte. Allein über das Zuschneiden hatten sie fast eine Stunde lang diskutiert, weil sie keine Pläne hatten. Wo hätte Luise sie auch herhaben sollen? Sie stellte sich vor, einfach in den Laden zu gehen und unschuldig zu fragen: »Entschuldigen Sie, Frau Brauer, haben Sie Schnittmuster für ein Flugzeug?«
    Als sie Georg davon erzählte, musste er lachen, obwohl sie sich gerade über das Zuschneiden stritten. Er kannte die alte Frau Brauer, die immer in ihrer schwarzen Witwentracht im Laden stand, klein und so unglaublich prüde, dass sie nicht einmal Bettwäsche verkaufte, wenn ein Mann mit ins Geschäft kam.
    Es war einfach immer alles viel schwieriger, als man sich das vorstellte. Georg hatte das Tuch schon zuschneiden wollen, da hatte sie nachgemessen und gemerkt, dass er keine Saumkante zugegeben hatte. Und dann waren die Nadeln der Nähmaschine eigentlich nicht für so festes Leinen geeignet und immer wieder abgebrochen. Aber immerhin – die Decke für die erste Tragfläche war jetzt zugeschnitten und ein Stück schon vernäht.

    Georg öffnete das Rolltor, um Luise hinauszulassen.
    »Bis bald«, sagte sie und huschte durch den Spalt auf die Straße.
    »Bis bald«, sagte Georg, und halb mitleidig, halb spöttisch, »schlaf gut.«
    Luise verzog den Mund, als sie sah, dass es schon hell wurde. »Oje. Ich muss mich beeilen.«
    Sie lief los, während Georg noch das Licht ausdrehte und das Tor abschloss. Die Luft war kühl und sogar hier im Fabrikviertel rein, die Stadt lag sauber und still. Im Osten war der Himmel schon rot, und Luise hörte die ersten Lerchen. Sie rannte im Dauerlauf die Stadtmauer entlang und nahm alles um sich herum mit der scharfen Klarheit auf, die man nach einer durchwachten Nacht hat, kurz bevor die große Müdigkeit kommt. Es würde wieder ein heißer Tag werden, dachte sie, nicht einmal Dunst lag über dem Horizont, nur das Rot der Sonne, die gleich aufgehen würde. Sie musste sich beeilen, deshalb bog sie von der Stadtmauer ab und lief jetzt quer durch die Stadt. Ein Milchwagen rumpelte vom Nordtor her über den Marktplatz. Die ­Blechkannen auf der Ladefläche schaukelten und stießen im Takt aneinander. Sie wich in die Kohlengasse aus und hatte das alte Molkereipferd leicht überholt, als sie auf dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher