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Ein kleiner Biss

Ein kleiner Biss

Titel: Ein kleiner Biss
Autoren: Mathilda Grace
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Leben als Banker abschreiben konnte, sollte mir ein Fell wachsen. Kein Boss, und schon gar nicht meiner, akzeptierte Fehlzeiten von einem Monat oder mehr.
    Ich saß so was von in der Tinte, das entbehrte wirklich jeder Beschreibung, und ich würde noch tiefer in der Tinte sitzen, wenn Marius Recht behielt. Ich lachte freudlos. „Das ist ja alles ganz wunderbar. Wenn mir heute Abend also ein dicker Pelz wächst, kann ich meinen Job vergessen, meine Freunde und meine Familie, mein Leben... einfach alles.“
    „Ich werde dir helfen. Das habe ich dir versprochen, Lukas, und ich halte mein Wort.“
    „Und dann?“ Ich sah Marius finster an. „Ich bin doch nicht blöd. Wenn ich mich in einen Wolf verwandle, geht es doch nicht mehr nur darum, mir einen anderen Job zu suchen. Oder bist du lächelnd und offenherzig damit hausieren gegangen, dass dir ab und zu mal Reißzähne wachsen?“
    Marius wich meinem Blick aus und sah auf die Bettdecke. „Nein.“
    Ich hatte es geahnt. „Das heißt also, mein gesamtes Leben in der jetzigen Form wäre völlig im Arsch, richtig? Ich weiß zwar nicht, wie es bei dir in der Hinsicht aussieht, aber meine Familie wäre nicht sehr begeistert darüber, wenn sie erfahren würden, dass ihr einziges Kind jeden Monat zu einem Wolf mutiert.“
    Meine Mutter würde einen Herzinfarkt kriegen und mein Vater wohl sein Gewehr holen, um sich eine weitere Trophäe an die Wand seines Arbeitszimmers zu hängen. Er war Jäger aus Leidenschaft, wie meine Mutter Ehefrau aus Leidenschaft war. Und auch wenn meine Eltern nicht das waren, was man stockkonservativ nannte, gab es dennoch Dinge, die ich ihnen einfach nicht erzählen konnte und auch nicht erzählen wollte. Diese Gestaltwandlersache gehörte definitiv dazu.
    „So ist es nicht“, widersprach Marius und sah mich an. „Wir sind keine Werwölfe, die vom Vollmond abhängig sind, das ist Unsinn aus Filmen. Nur die erste Wandlung passiert immer beim ersten Vollmond nach dem Biss. Danach können wir uns wandeln, wann immer wir das wollen, zumindest sobald wir gelernt haben, dabei die Kontrolle zu behalten. Und du darfst es niemandem erzählen, Lukas. Menschen sind nicht in der Lage, zu akzeptieren, dass sie nicht die einzige Herrscherrasse der Welt sind. Sieh' dir an, was sie ständig mit Ihresgleichen machen. Und dann stell dir vor, ich würde mich outen.“ Marius warf mir einen resignierenden Blick zu. „Ich wäre so gut wie tot, das weißt du. Ein Mensch allein ist meist intelligent genug, um die Wahrheit zu verkraften, dass es mich gibt. Eine Gruppe von Menschen wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Horde hysterischer, gefährlicher Tiere mutieren und mich an die nächste Wand nageln oder aber ausgestopft in ein Museum stellen.“
    Da hatte Marius leider Recht, aber ich hatte im Moment nicht die geringste Lust über die Menschheit und ihre Fehler zu diskutieren. Darüber konnten wir uns unterhalten, wenn das Thema Sicherheit für mich zur Debatte stand. Aber hier und jetzt gab es ja wohl andere Dinge, die weitaus wichtiger waren.
    „Wie viele Gestaltwandler gibt es?“, wechselte ich daher das Thema.
    „Ich werde dir davon erzählen, sobald feststeht, ob du einer von uns bist.“
    Er konnte also genauso gut das Thema wechseln wie ich. Ich hakte die Sache mit einem Schulterzucken ab. Fürs erste jedenfalls. „Und was, wenn nicht? Was machst du dann?“
    „Dich gehenlassen, das sagte ich doch schon“, antwortete Marius und runzelte die Stirn, als er begriff, worauf ich mit der Frage eigentlich hinauswollte. „Ich lüge dich nicht an. Das habe ich von Anfang an nicht getan, Lukas.“
    Der Punkt ging an ihn. Misstrauisch war ich trotzdem und das konnte er mir wohl kaum übel nehmen. Immerhin war ich hier derjenige in Ketten. „Du lässt mich gehen? Obwohl ich Bescheid weiß?“, hakte ich nach, was mir überraschenderweise eines von Marius' umwerfenden Lächeln einbrachte.
    „Erinnere dich daran, wie du vorhin reagiert hast. Niemand würde dir glauben, Lukas.“
    Da hatte er auch wieder Recht, denn so wie ich ihn anfangs für verrückt gehalten hatte, würde man auch mich für verrückt halten und wahrscheinlich einweisen lassen, wenn ich anfing, den Menschen Geschichten über Wölfe und Gestaltwandler zu erzählen.
    Ich seufzte leise. „Passieren solche Unfälle oft?“
    „Du meinst, wie bei dir?“, fragte er und schüttelte sichtlich verlegen den Kopf, als ich nickte. „Wir passen normalerweise auf. Natürlich kommt es manchmal
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