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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Autoren: Paul Gallico
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aushelfen konnten, wenn sich die Notwendigkeit dazu ergab.
    Sobald eine von ihnen krank war oder eine dringende Besorgung zu machen hatte, gelang es der andern immer, bei ihren eigenen Kunden so viel Zeit herauszuschinden, daß sie auch bei der Kundschaft der andern die Runde machen konnte, um sie wenigstens notdürftig zufriedenzustellen. Mußte sich Mrs. Harris, was selten genug vorkam, einmal ins Bett legen, so rief sie ihre Auftraggeber an, benachrichtigte sie von dieser Katastrophe und setzte hinzu: «Aber machen Sie sich nur keine Sorge. Meine Freundin, Mrs. Butterfield, wird bei Ihnen hereinschauen, und morgen bin ich wieder auf dem Posten.» Und umgekehrt wurde es genauso gehandhabt. Obwohl sie charakterlich verschieden waren wie Tag und Nacht, verband sie eine enge und treue Freundschaft, und sie betrachteten es als ihre Pflicht und Schuldigkeit, sich gegenseitig zu helfen. Eine Freundin war eine Freundin, und damit Schluß! Mrs. Harris’ Kellerwohnung lag Willis Gardens 5, Mrs. Butterfield wohnte Nr. 7, und selten verging ein Tag, an dem sie sich nicht trafen oder eine die andere auf suchte, um Neuigkeiten auszutauschen oder vertraulich ein Viertelstündchen miteinander zu plaudern.
    Die Taxe überquerte einen breiten Fluß, denselben, den Mrs. Harris aus der Luft gesehen hatte; jetzt war er nicht mehr blau, sondern grau. Auf der Brücke geriet der Fahrer in einen erbitterten Streit mit einem anderen Chauffeur. Mrs. Harris verstand die Worte zwar nicht, doch sie erriet, daß es keine Liebenswürdigkeiten waren, die sich die beiden an den Kopf warfen, und lächelte glücklich vor sich hin. Unwillkürlich mußte sie an Miss Pamela Penrose denken und an das Theater, das sie ihr gemacht hatte, als sie hörte, Mrs. Harris beabsichtige, einen Tag freizunehmen. Aber sie hatte ja ausdrücklich mit Mrs. Butterfield verabredet, dafür zu sorgen, daß die aufstrebende Schauspielerin nicht vernachlässigt würde.
    Merkwürdig nur, daß die sonst so geschickte Mrs. Harris mit ihrer großen Menschenkenntnis von all ihren Kunden ausgerechnet Miss Penrose am liebsten mochte.
    Das Mädchen, dessen richtiger Name Enid Snite war, wie Mrs. Harris aus ankommenden Briefen festgestellt hatte, führte in einem Kellerraum ein sehr unordentliches und schlampiges Leben.
    Sie war eine kleine wendige Blondine mit schmalen Lippen und seltsam unbeweglichen Augen, die gierig auf ein einziges Ziel gerichtet schienen: auf sich selber. Sie hatte eine ausgezeichnete Figur und Füße, so winzig und behende, daß sie niemals auf die Leichen trat, über die sie auf der Leiter des Erfolgs emporschritt. Es gab nichts, was sie nicht getan hätte, um ihre , wie sie sich auszudrücken pflegte. Diese Karriere wies bisher nicht mehr auf als den Erfolg von ein, zwei Jahren Arbeit als Chorgirl und einigen Nebenrollen in Film und Fernsehen. Sie war ein selbstsüchtiges, grausames Mädchen mit abstoßenden, gemeinen Manieren.
    Eigentlich hätte man meinen sollen, Mrs. Harris sei es ein leichtes, dieses falsche kleine Biest zu durchschauen und auf solch eine Kundschaft zu verzichten, denn wenn ihr irgend etwas an einem ihrer Auftraggeber nicht gefiel, warf sie einfach den Schlüssel in den Briefkasten und kam nicht wieder. Wie so viele ihrer Kolleginnen, die nicht allein um des Lohnes willen, mochten sie ihn auch noch so dringend brauchen, anderer Leute Wohnungen aufräumten, übte auch sie ihren Beruf mit einer gewissen Anteilnahme aus. Sie mußte entweder den Menschen, für den sie arbeitete, gern haben oder wenigstens sein Heim.
    Doch gerade weil sie Miss Snite ein wenig durchschaut hatte, blieb sie bei ihr, denn sie konnte die ungestüm wilde, hungrige Gier des Mädchens begreifen, etwas zu werden, sich aus der eingefahrenen Spur des tagtäglichen Kampfes herauszuarbeiten, jemand zu sein und etwas von den guten Dingen des Lebens für sich selber zu gewinnen.
    Bevor ihr eigenes, ungewöhnliches Verlangen sie nach Paris geführt hatte, war ihr ein solches Streben zwar fremd, aber doch nicht unverständlich gewesen. Denn sie selber hatte ähnlich zu kämpfen gehabt, nicht so sehr um etwas zu werden, sondern einfach um das nackte Leben zu fristen. Als Mr. Harris nämlich vor einigen zwanzig Jahren gestorben war und seine Frau ohne einen Pfennig zurückgelassen hatte, mußte sie versuchen, irgendwie fertig zu werden, da ihre Witwenrente völlig unzureichend war. In diesem Sinn bestand also eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den
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