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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Autoren: Paul Gallico
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beiden.
    Und dann war Miss Snite — oder Miss Penrose, wie Mrs. Harris sie Heber nannte — außerdem noch vom Glanz des Theaters umgeben, und der war unwiderstehlich.
    Titel, Reichtum, hohe Stellung oder gute Familie, das alles machte nicht den geringsten Eindruck auf Mrs. Harris, doch für den Zauber, der die Leute vom Film, Theater oder Fernsehen umgab, war sie sehr empfänglich.
    Sie konnte nicht wissen, wie flüchtig Miss Penroses Beziehungen zu diesen Dingen waren und daß sie nicht nur ein schlechtes Mädchen, sondern außerdem auch eine sehr mäßige Schauspielerin war. Mrs. Harris genügte es, daß man ihre Stimme von Zeit zu Zeit im Rundfunk hörte oder daß sie, ein Schürze vorgebunden und ein Tablett in der Hand, über den Fernsehschirm ging. Und so nahm sie immer wieder Rücksicht auf dieses alleinstehende Mädchen, das es so schwer hatte, sich durchzusetzen. Sie ging auf sie ein, verwöhnte sie und ließ sich von ihr Dinge gefallen, die sie von keinem andern hingenommen hätte.
    Die Taxe bog in eine breite Straße mit prächtigen Gebäuden ein, doch für Architektur hatte Mrs. Harris kein Auge und keine Zeit.
    «Wie weit ist’s denn noch?» rief sie dem Fahrer zu, der, ohne die Geschwindigkeit zu verringern, die Hände vom Lenkrad nahm, die Arme durch die Luft schwenkte, sich umdrehte und ihr eine Antwort zuschrie. Mrs. Harris verstand natürlich nicht ein Wort, doch das Lächeln unter seinem Walroßschnurrbart war freundlich und einnehmend, und so ließ sie sich wieder zurücksinken und war bereit, die Fahrt zu ertragen, bis sie das so lange ersehnte Ziel erreicht haben würde. Dabei dachte sie über die seltsamen Ereignisse nach, die sie hierhergeführt hatten.

Zweites Kapitel

    Das alles hatte vor mehreren Jahren an jenem Tag begonnen, als Mrs. Harris in der Wohnung Lady Dents einen Schrank geöffnet hatte, um darin aufzuräumen, und dabei auf zwei Kleider gestoßen war. Das eine in Krem und Elfenbein war eine Wolke von Spitze und Chiffon, das andere ein Feuerwerk aus rotem Seidensatin und Taft, mit großen roten Schleifen und einer riesigen roten Blüte geschmückt. Sprachlos vor Bewunderung stand sie da, ihr ganzes Leben lang hatte sie nie etwas so Aufregendes und Schönes gesehen.
    So eintönig und farblos Mrs. Harris’ Dasein auch gewesen war, so hatte sie doch immer Sehnsucht nach Schönheit und Farbe verspürt, die sich bislang in ihrer Liebe zu Blumen äußerte. Sie hatte die sprichwörtlichen grünen Finger und viel Erfahrung in der Pflege von Blumen; bei ihr blühte alles, was grün war, auch wenn es bei andern vielleicht eingegan-gen wäre.
    Vor den Fenstern ihrer Kellerwohnung standen zwei Blumenkästen mit Geranien, ihren Lieblingspflanzen, und innen wurde jeder geeignete Platz von kleinen Töpfen eingenommen, in denen entweder eine Geranie verzweifelt gegen die düstere Umgebung ankämpfte oder eine einzelne Hyazinthe oder Tulpe blühte, die sie für einen ihrer schwerverdienten Schillinge am Blumenstand gekauft hatte.
    Auch die Leute, bei denen sie arbeitete, schenkten ihr bisweilen ein paar übriggebliebene Schnittblumen, die sie halbwelk mit nach Haus nahm und wieder gesund pflegte, und hin und wieder, vor allem im Frühling, kaufte sie sich auch selber einmal einen kleinen Strauß Stiefmütterchen, Primeln oder Anemonen. Solange sie Blumen hatte, fand Mrs. Harris an dem Leben, das sie führte, nichts auszusetzen. Sie waren ihre Zuflucht in der düsteren Steinwüste, in der sie wohnte. Dieses lebhafte Gepränge von Farben genügte ihr. Dafür lohnte es, abends heimzukehren und morgens aufzuwachen.
    Doch nun, da sie vor den tollen Kreationen im Kleiderschrank von Lady Dent stand, sah sie sich einer neuen Art von Schönheit gegenüber — einer künstlichen Schönheit, von der Hand eines künstlerischen Menschen erschaffen, um mit List das Herz einer Frau zu betören. Und sofort fiel auch sie dem Künstler zum Opfer; in ebendiesem Augenblick wurde das sehnsüchtige Begehren in ihr wach, eins dieser Kleider zu besitzen.
    Dieses Gefühl war ohne Sinn und Verstand; niemals würde sie eine solche Schöpfung tragen; in ihrem Leben war kein Raum dafür. Ihre Reaktion war ausschließlich weiblich. Sie sah das Kleid und wünschte es sich aus ganzem Herzen. Irgend etwas in ihrem Innern verlangte und griff so instinktiv danach wie ein Kind in der Wiege nach einem blitzenden Gegenstand. Wie tief dieses Begehren ging, wie stark es war, das wußte in diesem Augenblick nicht einmal Mrs. Harris
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