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Ein Herzschlag bis zum Tod

Ein Herzschlag bis zum Tod

Titel: Ein Herzschlag bis zum Tod
Autoren: Sara J. Henry
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drehte sich, griff |312| nach der Waffe, ihre Finger rückten immer näher. Ich zögerte kurz und hieb dann mit voller Kraft meine linke Handkante gegen ihre Kehle.
    Ich glaube, ich habe mit aller Gewalt zugeschlagen, obwohl ich furchtbare Angst hatte, ihren Kehlkopf zu zertrümmern. Ich hatte noch nie jemanden geschlagen, und es ist schwerer, als man glaubt. Es gab einen furchtbaren Laut, und sie musste würgen, doch als ich nach hinten kippte, legten sich schon ihre Hände um meinen Hals. Die makellosen Nägel bohrten sich in meine Kehle. Ich bekam die Finger nicht weg. Ich rutschte übers Deck, stieß mich verzweifelt mit den Fersen ab, um ihr zu entkommen, aber sie folgte mir. Ich rutschte halb unter die Reling, hing über der Kante, und sie drückte mit ihrem ganzen Gewicht gegen meinen gebrochenen Arm, während ihre Hände mich würgten. Eine Schmerzwelle nach der anderen durchflutete mich. Ich konnte nicht richtig atmen. Sie schlug mit dem Oberkörper auf meinen gebrochenen Arm. Ich warf mich nach hinten, wollte ihr entkommen, wollte dem Schmerz entkommen, und stürzte ins Leere. Ihre Hände umklammerten noch immer meine Kehle, und sie fiel mit mir hinunter.
    Im Fallen holte ich mit dem linken Arm aus und rammte ihr den Ellbogen so fest wie möglich gegen den Unterkiefer. Sie ließ los, und ich landete allein im Wasser.
    Ich schien ewig zu sinken. Es war nicht so kalt wie damals, als ich Paul nachgesprungen war, aber dunkler, und mein Körper war betäubt vor Schmerz. Irgendwann sank ich nicht mehr weiter. Ich war müde, so müde, und ein Teil von mir wollte am liebsten loslassen und ins Nichts davontreiben.
    Doch dann sah ich Pauls Gesicht vor mir und dachte an die Albträume, unter denen er leiden würde, wenn ich ertrank. Ich dachte an die anderen Menschen, die mich vermissen würden. Und von irgendwoher fand ich die Kraft, meine Turnschuhe abzustreifen und mit den Beinen zu treten, zuerst vorsichtig und dann fester, wobei ich den gebrochenen Arm an den Körper |313| drückte. Immer weiter nach oben, als zöge mich etwas an die Oberfläche.
    Dann sah ich sie, nur wenige Meter entfernt, im geisterhaften Mondlicht, das aufs Wasser fiel. Sie hatte die Augen geöffnet und schaute mich geradewegs an. Ihr Haar wogte um sie herum, wie es bei Paul gewesen war, und sie hatte eine Hand an der Kehle, wo ich sie getroffen hatte. Sie drehte eine langsame Pirouette und streckte die andere Hand nach mir aus. Ich zögerte, dann streckte ich ihr den linken Arm entgegen. Unsere Fingerspitzen berührten sich, bevor ich weiter nach oben stieg und sie versank.

|314| 47
    Ich tauchte noch einmal, aber sie war verschwunden.
    Die Strömung hatte mich vom Boot weggetrieben. Ich war seltsam ruhig. Ich wusste, dass die Strömung nach Norden ging, dass der See durch Gletscherbewegungen entstanden war und die Wassertemperatur um diese Jahreszeit bei etwa sechzehn Grad lag. Ich wusste, dass die Bootsleiter eingeklappt war, so dass ich nicht an Bord kam. Ich rief laut – vielleicht hatte Madeleine mich in Bezug auf Thomas und Vince angelogen   –, doch es kam keine Antwort.
    Ich rollte mich auf den Rücken. Meine Schulter blutete, und ich musste irgendetwas dagegen unternehmen, doch mir fiel nichts ein. Zum Glück waren mein T-Shirt und meine Shorts aus federleichtem Synthetikmaterial, das mir für eine Bootsfahrt passend erschienen war. Schwere, nasse Baumwolle hätte mich hinuntergezogen.
    Ich begann sanft zu treten, bewegte mich dorthin, wo ich das Ufer vermutete. Irgendwann schlief ich wohl ein oder wurde ohnmächtig. Ich kam prustend zu mir, als das Wasser über meinem Kopf zusammenschlug. Dann trieb ich dahin, bewegte sanft die Füße auf und ab und ließ mich vom Wasser tragen.
    Ich dachte an Paul und Philippe. Ich dachte an die kleine blonde Janey im Kinderheim und fragte mich, ob sie jemals ein liebevolles Zuhause gefunden hatte. Ich dachte an all die anderen Dinge im Leben, die ich nicht geschafft hatte. Ich dachte daran, wie ich mit fünfzehn schwimmen gelernt hatte, nachts, allein im Pool eines Nachbarn, der verreist war. Ich war ins tiefe |315| Ende gestiegen und hatte mir das Wassertreten beigebracht. Ich dachte daran, wie ich vor einigen Jahren abends im Meer geschwommen war. Damals hatten die dunkle Nacht und der unermessliche Ozean Gefühle und einen tief verwurzelten Schmerz in mir gelöst. Und damals hatte ich entdeckt, dass man nicht gleichzeitig schwimmen und weinen kann.
    Doch wenn man auf dem Rücken treibt,
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