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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit
Autoren: Michail Lermontow
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Allen blieb der Athem stehen; Aller Blicke drückten Entsetzen und eine gewisse peinliche Neugier aus, indem sie sich von der Pistole nach der verhängnißvollen Karte wandten, welche, sich in der Luft drehend, langsam herabfiel. In dem Augenblick, als sie den Tisch berührte, drückte Wulitsch auf den Hahn ... Die Pistole versagte!
     
    "Gott sei Dank!" riefen mehrere; "sie war nicht geladen ..."
     
    "Das wollen wir sehen," sprach Wulitsch.
     
    Er zog von neuem den Hahn zurück und zielte nach einer Mütze, die über dem Fenster hing. Der Schuß ging los – das ganze Zimmer war voll Rauch. Als sich derselbe vertheilt hatte, wurde die Mütze heruntergenommen; sie war gerade in der Mitte durchlöchert, und die Kugel tief in die Wand eingedrungen. – Während mehrerer Minuten vermochte Niemand ein Wort hervorzubringen, Wulitsch dagegen steckte ganz ruhig meine Dukaten in die Tasche. – Wir fragten uns, warum die Pistole das erste Mal versagt habe. Einige behaupteten, die Zündpfanne sei wahrscheinlich verstopft gewesen; Andere äußerten flüsternd die Meinung, das Pulver sei das erste Mal feucht gewesen, und Wulitsch habe das zweite Mal besseres genommen. Aber ich behaupte, daß diese letztere Annahme unbegründet ist, denn während der ganzen Zeit hatte ich meine Blicke von der Pistole nicht abgewendet.
     
    "Sie haben Glück im Spiel," sagte ich zu Wulitsch.
     
    "Zum ersten Mal in meinem Leben," antwortete er mit einem selbstzufriedenen Lächeln; "es ging hier besser als beim Hazardspiel."
     
    "Dafür war die Sache auch ein wenig gefährlicher!"
     
    "Wieso? Glauben Sie denn jetzt an die Vorherbestimmung?"
     
    "Ja, ich glaube daran; nur begreife ich jetzt nicht, wie ich zu der Ansicht kam, Sie müßten jetzt unfehlbar sterben ..."
     
    Dieser selbe Mann, der sich soeben kaltblütig die Pistole vor die Stirn gehalten, wurde jetzt plötzlich unruhig und verwirrt. "Aber lassen wir's nun genug sein," sagte er aufstehend: "unsere Wette ist zu Ende und jetzt scheinen mir Ihre Bemerkungen unpassend." Er ergriff seine Mütze und entfernte sich. Ich war erstaunt über den seltsamen Eindruck, den meine Worte auf Wulitsch gemacht – und nicht ohne Grund.
     
    Bald begaben sich Alle nach Hause, indem sie sich in verschiedener Weise über das sonderbare Wesen des Kameraden Wulitsch unterhielten und mich vermuthlich einstimmig einen Egoisten nannten, daß ich eine Wette angenommen, deren Einsatz das Leben eines Menschen gewesen, als ob er ohne mich keine passende Gelegenheit gefunden hätte, sich zu erschießen ...
     
    Ich kehrte durch die leeren Gäßchen der Colonie nach Hause zurück. Der volle Mond, roth wie der Schein eines Brandes, begann hinter den zackigen Dächern der Häuser emporzusteigen; friedlich schimmerten die Sterne an dem dunkelblauen Himmel, und ich lächelte bei dem Gedanken, daß es einst weise Leute gegeben, welche glaubten, diese himmlischen Lichter nähmen Antheil an unsern nichtigen Streitigkeiten um ein Fleckchen Erde oder um irgend welche eingebildete Rechte. Ja, diese Leuchten, welche nach ihrer Ansicht nur angezündet sind, um ihre Schlachten und Triumphe zu beleuchten, prangen noch mit dem früheren Glanze, während ihre eigenen Leidenschaften und Hoffnungen längst mit ihnen erloschen sind, – wie ein Feuer, das ein sorgloser Wanderer am Saume des Waldes angezündet hat! Aber andererseits, welche Willenskraft verlieh ihnen die Ueberzeugung, daß der ganze Himmel mit seinen zahllosen Bewohnern auf sie, wenn auch mit stummer, aber unveränderlicher Theilnahme herabblicke! ...
     
    Wir aber, ihre traurigen Nachkommen, die wir auf der Erde umherschweifen ohne Ueberzeugungen und ohne Stolz, ohne Genuß und ohne eine andere Furcht als jene unwillkürliche Angst, welche das Herz bei dem Gedanken an das unvermeidliche Ende zusammenschnürt, – wir sind nicht mehr fähig zu großen Opfern, weder für das Wohl der Menschheit, noch auch für unser eigenes Glück, weil wir das Bewußtsein haben, daß dieses Glück unmöglich ist, – und so schwanken wir gleichgiltig von Zweifel zu Zweifel, wie unsere Vorfahren sich aus einem Irrthum in den andern stürzten, ohne wie sie weder Hoffnungen, noch auch jenen mächtigen, wenn auch unbestimmten Genuß zu haben, welcher die Starken in ihren Kämpfen gegen ihre Mitmenschen oder wider das Geschick begleitet ...
     
    Viele solcher Gedanken gingen mir durch den Kopf; ich hielt sie nicht fest, weil ich es nicht liebe, mich bei abstrakten Gedanken aufzuhalten.
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