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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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daß du dich heut' duellirst und daß ich die Veranlassung bin; ich glaubte, ich würde wahnsinnig ... Aber jetzt, nachdem ich ruhiger habe nachdenken können, bin ich überzeugt, daß dein Leben keine Gefahr läuft; denn es ist unmöglich, daß du ohne mich stirbst – unmöglich!
     
    Lange schritt mein Mann im Zimmer auf und nieder. Ich weiß nicht, was er zu mir sagte; ich erinnere mich nicht, was ich ihm antwortete ... wahrscheinlich habe ich ihm gesagt, daß ich dich liebe ... Ich erinnere mich nur, daß er am Ende unseres Gespräches mir ein schreckliches Wort zuschleuderte und fortging. Ich hörte, wie er anzuspannen befahl ... Da sitze ich nun schon drei Stunden am Fenster und erwarte deine Rückkehr ... Aber du lebst, du kannst nicht sterben! ... Der Wagen wird sogleich zur Abfahrt bereit sein ... Leb' wohl, leb' wohl ... Ich bin verloren – aber was liegt daran! Wenn ich nur überzeugt sein könnte, daß du mich nie vergessen – ich sage nicht lieben wirst – nein! – mich nur nicht vergessen ... Leb' wohl; man kommt ... ich muß diesen Brief verstecken ..."
     
    "Nicht wahr, du liebst Mary nicht, du wirst sie nicht heirathen? ... Ja, dieses Opfer mußt du mir bringen – mir, die ich um deinetwillen Alles hier auf Erden geopfert habe ..."
     
    Wie ein Wahnsinniger stürzte ich vor das Haus, schwang mich auf mein Tscherkessenpferd, das der Diener noch auf dem Hofe umherführte und jagte wie rasend auf dem Wege nach Pjätigorsk dahin. Ohne Erbarmen drückte ich die Flanken meines erschöpften Pferdes, das mich schnaufend und schaumbedeckt auf dem felsigen Wege dahintrug.
     
    Die Sonne hatte sich hinter schwarzen Wolken versteckt, die sich über den Kämmen der westlichen Gebirge aufgehäuft hatten; in der Thalschlucht war es dunkel und feucht. Der Podkumok ließ in seinem Lauf über die Felsen ein dumpfes, eintöniges Gemurmel vernehmen. Fast vor Ungeduld erstickend, jagte ich dahin. Der Gedanke, sie in Pjätigorsk nicht mehr zu finden, wirkte auf mein Herz wie ein Hammerschlag. Sie nur eine Minute, nur eine einzige Minute wiederzusehn, ihr Lebewohl zu sagen, ihr die Hand zu drücken ... Ich betete, fluchte, weinte, lachte ... Nein, nichts vermag meine Verzweiflung auszudrücken! ... Bei dem Gedanken an die Möglichkeit, sie auf ewig zu verlieren, war mir Wera theurer geworden als Alles auf der Welt, – theurer als mein Leben, meine Ehre, mein Glück! Gott allein weiß, welche absonderlichen, welche wahnsinnigen Gedanken in meinem Hirn entstanden ... und noch immer jagte ich dahin, noch immer spornte ich unbarmherzig mein Pferd an ... Endlich bemerkte ich, daß es nur noch schwer athmete, und schon war es zweimal auf ebener Stelle gestrauchelt ... Ich befand mich fünf Werst von Jessentukoff, einer Kosakenstation, wo ich mir ein anderes Pferd nehmen konnte.
     
    Ich bin gerettet, wenn mein Pferd nur noch zehn Minuten Kraft behält! Aber plötzlich, als es sich am Ende eines Waldes aus einer Vertiefung herausarbeiten will, sinkt es zu Boden. Ich springe herunter, will es wieder aufheben, zerre am Zügel – vergebens! Kaum, daß ein schwaches Gestöhn durch das zusammengepreßte Gebiß hervordringt; nach einigen Minuten ist es verendet.
     
    Ich befinde mich, meiner letzten Hoffnung beraubt, allein in der Steppe. Ich versuche, meinen Weg zu Fuß fortzusetzen – meine Beine schwanken. Erschöpft durch die Aufregungen des Tages und der schlaflosen Nacht sinke ich in das feuchte Gras und weine wie ein Kind ...
     
    Lange lag ich da unbeweglich, schluchzte und weinte die bittersten Thränen; ich versuchte nicht, sie zurückzuhalten. Mir war, als wollte meine Brust zerspringen. Meine ganze Festigkeit, meine ganze Kaltblütigkeit war wie Rauch verschwunden. Mein Herz war kraftlos, mein Geist gelähmt, und wenn mich in diesem Augenblick Jemand gesehen hätte, er würde voll Verachtung die Blicke abgewandt haben.
     
    Als der Nachtthau und die Bergluft meinen glühenden Kopf etwas gekühlt hatten, und ich meine Gedanken wieder sammeln konnte, da begriff ich, daß es Wahnsinn, unnützer Wahnsinn sei, das entfliehende Glück wieder erhaschen zu wollen. Was wollte ich denn noch? – Sie wiedersehen! – Warum? Ist nicht Alles zwischen uns aus? Ein bitterer Abschiedskuß wird meine Erinnerungen nicht bereichern, – aber unsere Trennung würde er nur noch schmerzlicher machen.
     
    Das eine jedoch ist noch ein Trost für mich: daß ich noch weinen kann. Aber vielleicht liegt der Grund dieser Thränen in der

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