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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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Sie die Ursache desselben sind ... Hören Sie: vielleicht glauben Sie, daß es mir auf Titel und großen Reichthum ankäme – Sie sind vollständig im Irrthum; ich will nur das Glück meiner Tochter. Ihre jetzige Stellung ist nicht glänzend; allein sie kann besser werden; denn Sie sind in der Lage, sich eine andere Zukunft zu schaffen. Meine Tochter liebt Sie; sie ist so erzogen, daß sie ihren Gatten glücklich machen wird. Ich bin reich, und sie ist mein einziges Kind ... Sagen Sie mir also, was hält Sie ab? ... Ich hätte vielleicht nicht so offen mit Ihnen reden sollen; aber ich habe Vertrauen zu Ihrem Herzen und zu Ihrer Ehre ... Bedenken Sie, sie ist meine einzige Tochter ... mein einziges ..."
     
    Sie begann zu weinen.
     
    "Fürstin," sagte ich, "es ist mir unmöglich, Ihnen zu antworten; aber gestatten Sie mir, daß ich einen Augenblick allein mit Ihrer Tochter rede ..."
     
    "Niemals!" rief sie aus, indem sie in heftiger Aufregung von ihrem Sitze aufsprang.
     
    "Wie Sie wollen," versetzte ich – und damit ging ich auf die Thür zu.
     
    Sie dachte einen Augenblick nach, gab mir mit der Hand ein Zeichen zu bleiben und entfernte sich.
     
    Fünf Minuten verstrichen. Mein Herz pochte heftig; allein meine Gedanken waren ruhig, mein Kopf kalt. Vergebens suchte ich in meinem Herzen nach einem Funken Liebe zu der schönen Mary, – nicht das geringste regte sich darin für sie.
     
    Da ging die Thür auf, und sie trat ein.
     
    Mein Gott, wie hatte sie sich verändert, seitdem ich sie zuletzt gesehen, – und in so kurzer Zeit!
     
    Wankend ging sie bis in die Mitte des Zimmers. Ich eilte auf sie zu, reichte ihr meinen Arm und führte sie zu einem Sessel.
     
    Ich stand vor ihr. Beide beobachteten wir langes Schweigen. Ihre großen Augen, in welchen ein Ausdruck unaussprechlicher Traurigkeit lag, schienen in meinen Blicken einen Schimmer von Hoffnung suchen zu wollen. Ihre blassen Lippen versuchten vergeblich zu lächeln; ihre zarten über den Knien gefalteten Hände waren so weiß und durchsichtig, daß ich mich eines Gefühls des Mitleides nicht erwehren konnte.
     
    "Fürstin," sagte ich, "Sie wissen, daß ich mir einen Scherz mit Ihnen erlaubt habe ... Sie müssen mich verachten."
     
    Ueber ihre Wangen verbreitete sich eine krankhafte Röthe.
     
    "Und darum," fuhr ich fort, "können Sie mich nicht lieben."
     
    Sie wandte sich ab, stützte die Arme auf den Tisch, bedeckte das Gesicht mit den Händen, und es schien mir, als ob Thränen in ihren Augen glänzten.
     
    "O, mein Gott," murmelte sie mit kaum vernehmlicher Stimme.
     
    Das wurde unerträglich: Noch eine Minute, und – ich wäre ihr zu Füßen gefallen.
     
    "Sie sehen also selbst," fuhr ich mit fester Stimme und gezwungenem Lächeln fort; "Sie sehen also selbst, daß ich Sie nicht heirathen kann, und wenn Sie es jetzt sogar wünschen sollten, Sie würden es bald bereuen. Meine Unterredung mit Ihrer Mutter zwingt mich zu dieser offenen und harten Erklärung. Ich hoffe, daß sie sich im Irrthum befindet; es wird Ihnen leicht sein, ihr denselben zu benehmen. Sie sehen, ich spiele in Ihren Augen die bedauernswertheste und häßlichste Rolle, und – auch das muß ich eingestehen – ich kann bei Ihnen keine andere Rolle spielen. Welche schlechte Meinung Sie von mir auch haben mögen, ich unterwerfe mich ihr ... Sie sehen, wie niedrig ich vor Ihnen stehe! ... Nicht wahr? Selbst wenn Sie mich wirklich geliebt hätten, jetzt würden Sie mich verachten?"
     
    Sie wandte sich mir zu, bleich wie Marmor; aber ihre Augen hatten einen furchtbaren Glanz.
     
    "Ich hasse Sie," sagte sie.
     
    Ich dankte ihr, verbeugte mich achtungsvoll und entfernte mich.
     
    Eine Stunde später brachte mich eine mit drei Courierpferden bespannte Kibitke aus Kislowodsk. Einige Werst von Jessentukoff erkannte ich am Wege den Cadaver meines Pferdes. Der Sattel war fortgenommen, wahrscheinlich von Kosaken, und statt des Sattels saßen zwei Raben auf dem Rücken. Ich fuhr zusammen und wandte die Augen ab ...
     
    Und jetzt, in diesem trübseligen, langweiligen Fort kehrt mein Geist oft in die Vergangenheit zurück, und ich frage mich, warum ich den Weg nicht betreten wollte, den das Geschick mir angewiesen hatte, und wo ich stille Freuden und die Ruhe der Seele gefunden haben würde ... Aber nein, für ein solches Leben war ich nicht geschaffen! Ich gleiche dem Matrosen, der auf einem Piratenschiff geboren und aufgewachsen ist: An Stürme und Schlachten gewöhnt, grämt und

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