Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Haus in Italien

Ein Haus in Italien

Titel: Ein Haus in Italien
Autoren: Lisa St Aubin de Terán
Vom Netzwerk:
Dies hatte ich immer für einen grausamen Zeitvertreib gehalten, gemildert nur durch den Genuß, mit dem die armen kleinen Opfer später verspeist wurden.
    Die Einheimischen verteidigten ihr Recht auf Jagd mit solcher Vehemenz, daß sie mit Revolution drohten, falls man ihnen dieses Grundrecht nehmen wollte. Imolo gehörte zu den wenigen Männern im Dorf, die an den Massaker-Ausflügen nicht teilnahmen. Als auf den Hügeln die Gewehre knallten und Tauben, Amseln und Nachtigallen herunterholten, schüttelte er traurig den Kopf und sagte, es sei eine Schande, so freien Geschöpfen das Leben zu nehmen.
    Darin waren wir vom palazzo mit ihm einig, aber alle Versuche, das den Jägern verständlich zu machen, waren vergebens. Sie sagten, es sei seit Jahrhunderten Tradition, und in einem von Bürokratie und Vorschriften geknechteten Land sei es ein von Gott verliehenes Recht, jedes Jahr die Freiheit des Waldes zu genießen und ihren Speisezettel durch Singvögel zu ergänzen. Nach den Vögeln kamen Wildschweine und dann alles andere, was auf vier Beinen den Wald durchstreifte.
    Angesichts der Neigung, alle Tiere außer Katzen, Hunden und Pferden niederzumetzeln, konnte sich die kunterbunte Tiersammlung, die mit einer umherziehenden Kirmes nach
San Orsola kam, glücklich schätzen, den Ort lebend zu verlassen. Das Stück Brachland neben der Bar, wo Allie und seine Freunde normalerweise Fußball spielten, wurde eine Woche lang von Karussells und Wurfbuden belegt sowie einer Schar jämmerlich aussehender Lamas, einem unter Haarausfall leidenden Affen, einem Papagei und einem neurasthenischen Maultier. Auf zwei Seiten standen lange, luxuriöse, silbrige Wohnwagen, die den Schausteller und seine zehn Kinder beherbergten. Abends schlenderte er zur Bar hinüber, in hochhackigen Stiefeln und mit rotem Stirnband, plazierte sich zwischen Theke und Kartentischen und blockierte mit seiner wuchtigen Gestalt den engen Durchgang. Von dieser zentralen Stelle bedachte er alle, die es wissen wollten (und alle anderen in Hörweite, selbst wenn sie es nicht wissen wollten), mit Schilderungen seines Lebens und seiner leidvollen Erfahrungen als Schausteller und Vater.
    Im Dorf wurde getuschelt, eine seiner Töchter habe sich in einen jungen Mann im Ort verliebt, und die Geschichte scheine ernst zu sein. Gerüchte brauchten oft einen ganzen Tag, bis sie uns in der Villa erreichten, das war der Abstand zwischen Maria d'Imolos Besuchen. Unten im Dorf verbreitete sich Klatsch wie verschütteter Wein, der unter der Eingangstür hindurch in jedes Haus sickert. Nach einer Woche wurde die Kirmes abgebaut und fortgeschleppt, aber man munkelte weiter. Man sprach nicht nur von Verlobung, man sprach von Heirat. Verlobungen in San Orsola dauern offenbar zwischen fünf und zehn Jahren, daher regte der Gedanke an einen fidanzamento niemanden sonderlich auf. Eine Hochzeit hingegen bedeutet ein großes, eintägiges Fest, und irgendwann im Verlauf des Tages dürfen alle Dorfbewohner kommen und mitfeiern.
    Der Feiertagskalender steuerte unaufhaltsam auf Weihnachten (Natale) und das viel bedeutendere Datum des Jahreswechsels (Capo d'anno) zu. Weihnachten war hier noch ein religiöses Fest und wenig mehr. Die meisten Familien schmückten ihre Konifere im Vorgarten oder auch die Magnolie mit ihren breiten immergrünen Blättern ein wenig, aber die wichtigste Dekoration war il presepe , die Krippe, die in jedem Haus aufgebaut wurde und häufig bis zu einem Viertel des Wohnzimmers okkupierte. Die Geschäfte füllten sich mit traditionellen Festartikeln, gefüllten Schweinsfüßen und Linsen, Nüssen, getrockneten, mit Mandeln gefüllten Feigen und stapelweise panettone in Schachteln. Panettone und süßer, weißer Schaumwein durften in keinem Haushalt fehlen. Sie wurden als Geschenke verteilt, so daß am Ende der Weihnachtszeit die eigene panettone -Sammlung einer kleinen Pyramide glich. Jede Schachtel enthielt einen hohen Hefekuchen in Gugelhupfform, den man mit Puderzucker bestäubte und in riesigen, gewichtslosen Keilen aß.
    In Vorbereitung auf Weihnachten und Neujahr wurde privat geschlachtet. Gänsen wurde der Hals umgedreht, Enten bissen ins Gras. Kapaune waren beliebter als Truthähne, und mindestens eine ältere Henne, die frühere Auswahlrunden überstanden hatte und nun meinte, sich auf ein relativ einfaches Leben mit Eierlegen und Körnerschlingen einrichten zu können, fand sich als Hauptzutat jener Brühe wieder, die das traditionelle Weihnachtsessen jeder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher