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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition)
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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neuzeitlichen Hilfsmitteln wie Geheimpolizei, Propaganda, Terror usw. sich äußerst schwierig beseitigen läßt. Stalin, Hitler, Mussolini und Franco sind allesamt nicht ernstlich von einer Revolution
    innerhalb der eigenen Länder bedroht worden. Diejenigen, die gestürzt sind, stürzten infolge des vollständigen Zusammenbruchs ihrer Länder, der von anderen Ländern herbeigeführt wurde. Es erscheint vernünftig, die Ansicht zu haben, daß dann also von allen Diktaturen eine Weltdiktatur sich am schwierigsten beseitigen ließe. Auch kann niemand angesichts der Erfahrung in Rußland glauben, daß der Kommunismus oder irgendeine andere Partei Diktatoren, Bürokraten und eine Polizeimacht hervorbringen, die willens sind, sich von selber aufzulösen. Daher geht es bei einem Studium der Charaktereigenschaften der Kommissare und Diktatoren darum, etwas von den Gesetzen und dem Wesen des kommunistischen Staates zu lernen, der morgen vielleicht die Macht gewinnt; und der, wenn er die Macht gewinnt, sie nicht wieder aufgeben wird.
    In den Reihen der kommunistischen Intellektuellen bemerkte ich während der dreißiger Jahre ein Verhalten, das heute in Osteuropa in dem Schriftstellerverband zu einer Einrichtung geworden ist, die den Romanschriftstellern und Dichtern diktiert, was sie zu denken und zu empfinden haben. Die Hauptbeschäftigung der Schriftstellervereinigungen, die sich trafen, um das ewige Problem „Kunst und Gesellschaft" zu diskutieren, bestand darin, zu erklären, daß die Literatur die marxistischen Theorien von der Überlegenheit des Proletariats und die Notwendigkeit der Revolution anschaulich darzustellen habe. Diese intellektuelle Auffassung von der Gesellschaft reichte unumgänglicherweise weit über jedes persönliche Erlebnis hinaus. Das Erlebnis könne nur herangezogen werden, um einen Aspekt einer vorangegangenen Schlußfolgerung, zu der man unabhängig von dem Erlebnis gekommen war, zu beleuchten.
    Wie ernsthaft auch der Marxismus der Schriftsteller sein mochte, so zeitigte in ihren Gemütern die Beherrschung einer Theorie, die jedem persönlichen Erlebnis voranging, gewisse unvermeidliche Ergebnisse. Da es das wichtigste war, ein theoretischer Marxist zu sein, folgerte hieraus, daß die besten Marxisten, die oft die schlechtesten Schriftsteller waren, über jene anderen Schriftsteller einen Vorteil hatten, die in Demut um ihrer Kunst willen sich nach ihren Erlebnissen richteten. Das bedeutete, daß die Theoretiker automatisch Literaturkritiker wurden, die die gesamte Literatur der Vergangenheit und Gegenwart nach den ideologischen Ansichten des Schriftstellers analysierten. So kam es, daß ich einen kommunistischen Dichter anhörte, der einer literarischen Gesellschaft in Hampstead anläßlich einer Geburtstagsfeier für Keats auseinandersetzte, daß Keats zwar kein Marxist gewesen sei, wir aber zum mindesten behaupten könnten, daß er als Sohn eines Stallknechtes und als an Schwindsucht leidender Mensch, wofür der Staat durch keine Pflege sorgte, das Verdienst habe, ein Opfer des Kapitalismus gewesen zu sein. Und ich hörte, wie der gleiche Schriftsteller ausführte, daß Joyces Werk „Finnegan's Wake" die Zersetzung des Denkens und der Sprache der bürgerlichen, individualistischen Welt veranschauliche. Er war es übrigens auch, der, als 1941 Virginia Woolf sich das Leben nahm, darüber schrieb und sie beglückwünschte, den Weg der historischen Notwendigkeit eingeschlagen zu haben und es für angezeigt hielt zu sagen, daß man von anderen bürgerlichen Schriftstellern erwarten könne, ihrem Beispiel zu folgen.
    Mit Widerwillen hörte ich mit an, wie unbedeutende Talente dogmatisch umherkrähten. Es lag etwas Degradierendes in der Annahme, daß eine politische Gesellschaftstheorie denjenigen, der sie vertrat, in eine Lage versetzte, in der er die Einsichten des Genies verwerfen konnte, es sei denn, sie erwiesen sich schließlich als Verwendungsmöglichkeiten einer politischen Theorie zu ästhetischem Material.
    Ich empfand kaum eine geringere Abneigung gegen jene extensive marxistische Literaturkritik, die die Literatur als von Schriftstellern bewußt oder unbewußt erfundene Mythen hinstellte, die den Interessen irgendeiner, historisch gesehen, im Ansteigen begriffenen Klasse dienten. Meiner Meinung nach sind zwar Dichter wie Dante und Shakespeare sicherlich beide in gewisser Beziehung Männer ihrer Zeit und politische Denker, aber es gibt einen transzendenten Aspekt ihres Erlebnisses, der
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