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Ein Gesicht in der Menge

Ein Gesicht in der Menge

Titel: Ein Gesicht in der Menge
Autoren: Stephen King
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nicht, wie sie zu sein, Dean. Wir teilen das Land in Regionen auf und tun dasselbe wie bisher.»
    «Wie soll das im Nordwesten funktionieren?», fragte Evers. «Oder im Südwesten? Oder auch nur im Mittelwesten? Das Land ist einfach zu groß.»
    «Vielleicht ist es anfangs nicht so rentabel, aber das dauert nicht lange. Du hast unsere Konkurrenz doch gesehen. Achtzehn Monate – höchstens zwei Jahre –, dann sind sie erledigt.»
    «Wir haben uns schon finanziell übernommen, und jetzt willst du noch mehr Schulden machen.»
    Bei diesem Wortwechsel glaubte Evers aufrichtig an seine Argumente. Selbst für eine öffentliche Kapitalgesellschaft waren die Probleme der Kapitalisierung und des Geldflusses unüberwindlich – ein Urteil, das sich zwei Jahrzehnte später mit dem einsetzenden Abschwung als nur zu wahr erweisen sollte. Doch Lennie Wheeler war es gewohnt, seinen Willen durchzusetzen, und nichts, was Evers sagte, konnte ihn davon abbringen. Wheeler hatte schon mit verschiedenen Risikokapitalunternehmen gesprochen und einen eleganten Prospekt drucken lassen. Er wollte seinen Vorschlag direkt den Aktionären unterbreiten, wenn nötig, ohne Evers’ Zustimmung.
    «Ich glaube nicht, dass du das tun willst», sagte Evers.
    «Und warum nicht, Dean?»
    Er hatte sich wirklich bemüht, das Ganze anständig und ehrenhaft über die Bühne zu bringen. Und er wusste, dass er recht hatte; die Zeit würde es zeigen. In Geschäften ging es nur um eins: das Überleben. Evers hatte das damals deutlich gespürt und hielt es auch heute noch für richtig: Er musste die Firma retten. Deshalb die nukleare Option.
    «Ich glaube nicht, dass du das tun willst, weil dir wahrscheinlich nicht gefallen würde, wovon ich die Gesellschafterversammlung unterrichten würde. Oder sollte ich lieber sagen, von wem?»
    Wheeler lachte, ein kraftloses kurzes Kichern. Er starrte Evers an, als hätte er eine Waffe gezogen. «Von wem?»
    «Wir wissen beide, von wem», sagte Evers.
    Wheeler rieb sich langsam mit der Hand über die Wange. «Ich hab mich schon gefragt, warum du hier reinkommst, als hättest du schon was gewonnen.»
    «Wir gewinnen nichts. Wir vermeiden einen Fehler, der uns alles kosten würde. Tut mir leid, dass es so weit kommen musste. Wenn du auf mich gehört hättest …»
    «Fick dich, Dean», sagte Wheeler. «Versuch nicht, dich für Erpressung zu entschuldigen. Das ist unanständig. Und da wir gerade unter vier Augen sind, warum rollst du nicht diese Tabellenkalkulationen zusammen – nur so passen sie in deinen schmalen Arsch – und gibst zu, dass es stimmt: Du bist ein Feigling. Schon immer gewesen.»
    Innerhalb eines Jahres zahlte Evers ihn aus. Die Trennung war kostspielig und im Rückblick ein besserer Deal, als ihn Wheeler verdient hatte. Lennie verließ New England, dann seine Frau und schließlich, in einer Notaufnahme in Palm Springs, dieses irdische Tal der Tränen. Aus Respekt flog Evers zur Beerdigung in den Westen, wo, kaum überraschend, keine Rettungsschwimmertypen anwesend waren und von der Familie nur die Tochter, die Evers kühl für sein Kommen dankte. Er sprach den ersten Gedanken nicht aus, der ihm in den Kopf kam:
Sarkasmus steht Fettklößen nicht, Kleine
. Nach einer gründlichen Überprüfung der Zahlen und finanziert durch Bain Capital, expandierte Speedy ein paar Jahre später unter Verwendung einer vereinfachten Version ihres alten Regionenplans doch noch landesweit. Dass er recht gehabt hatte – dass Speedy am Ende ebenso Insolvenz anmelden musste wie die besiegten Konkurrenten –, war keine richtige Ehrenrettung. Doch er kam mit einer stattlichen Summe aus der Sache heraus, und das war’s.
    Das Witzige war, dass Wheeler mit minimalem Aufwand – ein, zwei beiläufige Fragen an Martha, eine scharfsinnige Deutung ihres Blinzelns – eine felsenfeste Absicherung hätte erlangen können. Als Evers das begriff, machte er mit Martha behutsam Schluss, und da sie beide ein schlechtes Gewissen hatten, war es sogar eine Erleichterung. Ihre Affäre hatte einen ausgesprochen angenehmen Verlauf genommen, und statt sie zu feuern, holte er sie näher zu sich, machte sie zur Chefassistentin bei doppeltem Gehalt und arbeitete tagein, tagaus neben ihr, bis sie schließlich eine großzügige Vorruhestandsregelung akzeptierte. Bei ihrer Abschiedsparty hielt er eine Rede, schenkte ihr eine Honda Goldwing und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, während die übrigen Angestellten ihr zuprosteten und herzlichen
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