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Ein Gesicht in der Menge

Ein Gesicht in der Menge

Titel: Ein Gesicht in der Menge
Autoren: Stephen King
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früheren Speedy-Beschäftigten auf, viele von ihnen in ihrer blauen Uniform. Er erkannte Don Blanton, der Mitte der neunziger Jahre im Zuge einer Ermittlung wegen Kinderpornographie verhört worden war und sich in Malden in seiner Garage erhängt hatte. Evers wusste noch, wie schockiert er gewesen war über den Gedanken, dass jemand, den er kannte, vielleicht in Kinderpornographie verwickelt war, und auch über Dons letzten Schritt. Er hatte den Mann immer gemocht, hatte ihn nicht gehen lassen wollen, aber was war ihm bei so einer Anschuldigung anderes übrig geblieben? Der Ruf der Beschäftigten war für eine Firma ungeheuer wichtig.
    Der Akku seines Handys war noch nicht ganz leer. Was soll’s, dachte er. Es war ein wichtiges Spiel. Wahrscheinlich sahen sie es sich auf Cape Cod ebenfalls an.
    «Hallo, Dad», begrüßte ihn Pat.
    «Guckst du dir das Spiel an?»
    «Die Kinder gucken. Die Erwachsenen spielen Karten.»
    Neben dem ersten Platzanweiser stand Lennie Wheelers Tochter, immer noch in schwarzer Trauerkleidung. Wie ein dunkles Gespenst deutete sie auf Evers. Sie hatte ihren ganzen Babyspeck verloren, und Evers fragte sich, ob das vor oder nach ihrem Tod passiert war.
    «Geh mal gucken, Junge.»
    «Einen Augenblick», sagte Pat, und dann war das Quietschen eines Stuhls zu hören. «Okay, ich bin da.»
    «Direkt hinter der Home Plate, in der ersten Reihe.»
    «Was gibt’s da zu sehen?»
    Evers stand hinter dem Maschendraht auf und winkte mit seinem blauen Schaumstofffinger. «Siehst du mich?»
    «Nein, wo bist du denn?»
    Der junge Dr. Young hinkte auf seiner Prothese die steile Treppe herunter und hielt sich dabei an den Sitzlehnen fest. Auf seinem Kittel prangte wie ein Orden ein kaffeefarbener getrockneter Blutfleck.
    «Siehst du mich jetzt?» Evers nahm das Handy vom Ohr und schwenkte beide Arme über dem Kopf, als wollte er einen Zug anhalten. Der bizarre Finger wippte hin und her.
    «Nein.»
    Also nicht.
    Das war schon in Ordnung. Eigentlich sogar besser.
    «Pass gut auf dich auf, Patty», sagte Evers. «Ich liebe dich.»
    Er drückte auf Beenden, während sich überall im Stadion die Blöcke füllten. Er konnte nicht erkennen, wer gekommen war, um die Ewigkeit mit ihm auf den billigen Plätzen oder in den Weiten des Außenfelds zu verbringen, doch die Plätze gingen schnell weg. Nun kamen die Platzanweiser mit den watschelnden, zerlumpten Überresten von Soupy Embree und mit dessen Mutter, abgespannt nach einer Doppelschicht, mit Lennie Wheeler in dem Nadelstreifenanzug, in dem er beerdigt worden war, Evers’ Großvater Lincoln mit seinem Spazierstock, außerdem Martha und Ellie und Evers’ Eltern und all die Menschen, die er im Leben schlecht behandelt hatte. Während sie von beiden Seiten in seine Reihe strömten, steckte er sein Handy in die Tasche, setzte sich wieder und streifte dabei den Schaumstofffinger ab. Er lehnte ihn auf den jetzt unbesetzten Platz zu seiner Linken. Hielt ihn für Kaz frei. Denn er war überzeugt, dass sich Kaz irgendwann zu ihnen gesellen würde, nachdem der ihn im Fernsehen gesehen und angerufen hatte. Falls Evers irgendwas darüber gelernt hatte, wie das Ganze lief, dann dass sie beide noch einiges zu bereden hatten.
    Jubel brandete auf, und Kuhglocken bimmelten. Die Rays waren noch immer am Schlag. Obwohl es viel zu früh war, forderte irgendein Großmaul an der rechten Außenlinie die Menge auf, die Welle zu starten. Wie immer, wenn Evers vom Spielgeschehen abgelenkt worden war, blickte er auf die Anzeigetafel, um sich auf den neuesten Stand zu bringen. Es war erst das dritte Inning, und trotzdem hatte Beckett schon sechzig Pitches geworfen. Allem Anschein nach würde es ein langes Spiel werden.

Über Stephen King / Stewart O'Nan
    Stephen King und Stewart O’Nan haben gemeinsam bereits ein Buch über Baseball geschrieben. Das neue Gemeinschaftswerk ist eine phantastische Geschichte über einen Mann am Ende des Lebens und seine Geister.

    Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. Schon als Student veröffentlichte er Kurzgeschichten, sein erster Romanerfolg, «Carrie», erlaubte ihm, sich nur noch dem Schreiben zu widmen. Seitdem hat er weltweit 400 Millionen Bücher in mehr als 40 Sprachen verkauft. Im November 2003 erhielt er den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk. Er lebt mit seiner Frau in Maine.

    Stewart O’Nan wurde 1961 in Pittsburgh geboren und wuchs
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