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Ein gefährliches Werkzeug

Titel: Ein gefährliches Werkzeug
Autoren: David Christie Murray
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Ueberredungskünste an andern zu versuchen, fand aber, daß es zu spät geworden war. Am nächsten Tag lief er die ganze City ab und gab ein Pfund für Droschkenfahrten aus, allein vergeblich. In der ganzen Geld verleihenden Bruderschaft fand sich nicht einer, der ihm auf einen Wechsel von fünfzig Pfund auch nur eine halbe Krone geliehen hätte. Die Gerechtigkeit erfordert zu sagen, daß ihm dabei J. P.'s stehende Nase und seine thränenreiche Vertraulichkeit beständig vorschwebte und daß sich das Gefühl seiner Verpflichtung ihm bleischwer auf die Seele legte. Es stand fest, daß er den armen J. P. nicht hatte beschwindeln wollen, sondern nur durchaus hatte hundertfünfzig Pfund haben müssen, und es war schrecklich, daß eine so kleine Summe eine so große Last hatte werden können. Er für sich allein hätte sich selbst von der englischen Staatsschuld nicht bedrücken lassen, wenn ihm jemand so viel Kredit gewährt haben würde, allein nun litt er für J. P. Dieser hatte ein Weib nebst sechs Kindern und der schreckliche Gedanke, daß der arme Mann durch sein freundschaftliches Vertrauen zu Grunde gerichtet werden sollte, betrübte Esden aufrichtig. Allein wenn das Geld nicht zu erlangen war, so war es eben nicht zu erlangen, und man mußte seine Hoffnung auf einen Zufall setzen.
    Sein letzter vergeblicher Versuch hatte ihn in die Nähe eines Bahnhofes in der City gebracht, und da die Zeit, zu der er hatte in Wootton Hill eintreffen wollen, längst verstrichen war, so sandte er einen Dienstmann zu seiner Aufwärterin mit einem Zettel, in dem er sie anwies, soviel von seinen Sachen einzupacken, als für vier Wochen nötig sei.Während der Dienstmann fort war, aß Wyncott in der Restauration zu Mittag, nahm dann sein Gepäck in Empfang und fuhr mit dem nächsten Zug ab. Anfangs war er zu ärgerlich und aufgeregt, um auch nur die Abendblätter lesen zu können, die er sich mitgenommen hatte, allein da er eine sehr elastische Natur besaß, war er schon wieder ganz er selbst, als der Zug auf dem Bahnhof von Wootton Hill hielt. Er war dort bekannt und der Stationsvorstand begrüßte ihn mit größter Ehrerbietung. Esdens Tante war die Standesperson der Gegend und ihre Gaste wurden natürlich dadurch auch Leute von Bedeutung. Es war für einen Mann, der nicht einmal hundertundfünfzig Pfund auftreiben konnte, wenigstens eine kleine Genugthuung, als vornehmer Herr auftreten zu können, und dieser Umstand hob ihn in seinen eigenen Augen wieder einigermaßen.
    »Bedaure unendlich, Herr Wyncott,« sagte der Stationsvorstand, »aber wir können Ihnen Ihr Gepäck nicht vor einer Stunde hinaufschicken.«
    »Das thut nichts,« sagte Esden, »aber sorgen Sie, daß ich es heute nacht noch erhalte.«
    Damit schritt Esden davon, als wäre er der geborene Herr und Erbe dieses Grund und Bodens. Der arme J. P. und seine Angelegenheiten waren ihm völlig entschwunden.
    Hill House war ein Wohnhaus von beträchtlicher Größe mit wenig oder gar keinem Anspruch auf architektonische Schönheit. Es erhob sich über das umliegende Land und war auf etwa zwei Meilen hin nach jeder Richtung sichtbar. Trotzdem es Wind und Wetter völlig preisgegeben war, machte es doch einen heimeligen, heitern Eindruck.
    Die Landstraße führte über den Hügel und das Thor war nicht mehr als vierzig Meter vom Hause entfernt; der Zwischenraum wurde von einem mit schönen Bäumen und außergewöhnlich großen Rhododendronbüschen bepflanzten Rasen ausgefüllt. Im Erdgeschoß des Gebäudes befand sich eine offene Halle, durch die das Haus von vorne bis hinten in zwei Teile geteilt wurde. Die beiden obern Stockwerke wurden in derselben Weise durch einen Flur geteiltund eine breite Wendeltreppe führte an beiden Enden des Gebäudes in die oberen Regionen.
    Während Esden bequem den Hügel hinaufschlenderte, sah er vor sich einen Mann, der eine Handkarre schob. Er ging neben der Karre her und las die Aufschrift der Pakete.
    »Sie gehen nach Hill House?« fragte er freundlich und der Mann antwortete bejahend. »Dann bringen Sie mir nur mein Gepäck auch so bald als möglich vom Bahnhof herauf. – Sie haben da eine schwere Last, wie es scheint?«
    »Ja wohl,« erwiderte der Mann, »es ist ein photographischer Apparat. Die Dame war wenigstens sechsmal drunten, um danach zu fragen.«
    »Na, das ist ja genug, um ein photographisches Atelier einzurichten! Vergessen Sie nur mein Gepäck nicht!«
    Damit schritt er weiter und langte geraume Zeit vor dem Packträger im
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