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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr
Autoren: Jojo Moyes
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nicht ausdrücken konnte. Und ich sagte mir, dass mir das genügen musste. Ich würde tun, um was er mich gebeten hatte. Das musste mir genügen.
    Ich legte mich neben ihn auf das Bett und schob den Arm über ihn. Ich bettete meinen Kopf an seine Brust, ließ meinen Körper ihr sanftes Heben und Senken in sich aufnehmen. Ich fühlte den schwachen Druck von Wills Fingerspitzen an meinem Rücken, seinen warmen Atem in meinem Haar. Ich schloss die Augen, atmete seinen Geruch ein, es war immer noch der gleiche luxuriöse Zedernholz-Duft, den ich trotz der kühlen Frische des Zimmers und des schwachen Geruchs nach Desinfektionsmittel wahrnahm. Ich versuchte, an überhaupt nichts zu denken. Ich versuchte, einfach nur zu sein, versuchte, den Mann, den ich liebte, durch Osmose in mich aufzunehmen, versuchte, was mir noch von ihm blieb, für alle Zeit in mein Gedächtnis zu bannen. Er schwieg. Und dann hörte ich seine Stimme. Ich lag so dicht bei ihm, dass seine Stimme durch meinen Körper zu vibrieren schien.
    «Hey, Clark», sagte er. «Erzähl mir was Schönes.»
    Ich starrte aus dem Fenster auf den hellblauen Schweizer Himmel, und ich erzählte ihm die Geschichte von zwei Menschen. Zwei Menschen, die sich nicht hätten begegnen sollen und, als es doch passierte, sich nicht besonders mochten. Aber dann stellten sie fest, dass sie das vielleicht einzige Gegenüber in der Welt gefunden hatten, das sie verstand. Und ich erzählte ihm von den Abenteuern, die sie zusammen erlebten, den Orten, an die sie fuhren, und von all den Dingen, die ich ohne ihn niemals gesehen hätte. Ich beschwor für ihn sternenfunkelnde Himmel und schimmernde Meere und Abende voller Lachen und alberner Witze. Ich zeichnete eine Welt für ihn, eine Welt weit weg von einem Schweizer Gewerbegebiet, eine Welt, in der er irgendwie immer noch der Mensch war, der er hatte sein wollen. Ich zeichnete die Welt, die er für mich geschaffen hatte, eine Welt voller Staunen und Möglichkeiten. Ich erklärte ihm, dass er eine Verletzung hatte verheilen lassen, so gut, wie er es nicht einmal ansatzweise ahnen konnte, und dass ich ihm deshalb für immer dankbar sein würde. Und während ich sprach, wusste ich, dass es die bedeutendsten Worte waren, die ich jemals sagen würde, und ich wusste, wie wichtig es war, die richtigen Worte zu wählen, damit er sie nicht als Beeinflussung aufnahm, als Versuch, ihn umzustimmen, sondern damit sie zeigten, dass ich Wills Entscheidung respektierte.
    Ich erzählte ihm etwas Schönes.
    Die Zeit verlangsamte sich und blieb stehen. Es gab nur noch uns zwei, und ich redete leise in dem leeren, sonnendurchfluteten Zimmer. Will sagte nicht viel. Er antwortete nicht, warf keine trockenen Bemerkungen ein, spottete nicht. Manchmal nickte er, seinen Kopf gegen meinen gedrückt, oder er gab ein kleines Geräusch von sich, vielleicht aus Zufriedenheit oder weil er an eine weitere schöne Erinnerung dachte.
    «Es waren», erklärte ich ihm, «die besten sechs Monate meines Lebens.»
    Darauf folgte ein langes Schweigen.
    «Komisch, Clark, bei mir ist es genauso.»
    Und dann, einfach so, brach mir das Herz. Mein Gesicht verzog sich, meine Selbstbeherrschung löste sich auf, und ich hielt ihn fest, und es war mir egal, ob er meinen bebenden Körper spürte, während ich schluchzte, denn der Kummer überschwemmte mich mit unaufhaltsamer Wucht. Er überwältigte mich, zerriss mir das Herz, fraß sich in meinen Bauch und meinen Kopf, zog mich in einen klebrigen Sumpf, und ich hielt es nicht aus. Ich dachte ehrlich, ich könnte es nicht aushalten.
    «Nicht, Clark», murmelte er. Ich spürte seine Lippen auf meinem Haar. «Oh, bitte. Nicht. Sieh mich an.»
    Ich presste die Augen zu und schüttelte den Kopf.
    «Sieh mich an. Bitte.»
    Ich konnte nicht.
    «Du bist wütend. Bitte. Ich will dich nicht verletzen oder …»
    «Nein …» Wieder schüttelte ich den Kopf. «Das ist es nicht. Ich will nicht …» Meine Wange lag fest an seiner Brust. «Ich will nicht, dass du als Letztes mein verheultes, fleckiges Gesicht siehst.»
    «Du verstehst es immer noch nicht, Clark, oder?» Ich hörte das Lächeln in seiner Stimme. «Es ist nicht deine Entscheidung.»
    Ich brauchte eine Weile, um meine Fassung wiederzugewinnen. Ich putzte mir die Nase und atmete tief ein. Schließlich stützte ich mich auf den Ellbogen hoch und erwiderte seinen Blick. Seine Augen, die so lange angestrengt und unglücklich ausgesehen hatten, wirkten seltsam klar und entspannt.
    «Du
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