Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr
Autoren: Jojo Moyes
Vom Netzwerk:
Mahagoniholz, seiner heimeligen, geblümten Steppdecke und den Kissen, die in dieser Umgebung seltsam fehl am Platz wirkten. Mr. Traynor saß auf einer Seite des Bettes, Mrs. Traynor auf der anderen.
    Sie war blass wie ein Gespenst und stand auf, als sie mich sah. «Louisa.»
    Georgina saß vorgebeugt auf einem Holzstuhl in der Ecke und hatte die Hände zusammengepresst, als würde sie beten. Sie hob den Blick, als ich hereinkam, sodass ich ihre tief umschatteten, rotgeweinten Augen sah, und auf einmal schoss Mitleid für sie in mir hoch.
    Was hätte ich getan, wenn Katrina auf ihrem Recht bestanden hätte, das Gleiche zu tun?
    Das Zimmer war hell und luftig, wie in einem exklusiven Ferienhaus. Auf dem gefliesten Boden lagen teure Teppiche, und am Fenster stand ein Sofa, von dem aus man in einen kleinen Garten hinaussah. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. All das war ein so unglaublich normaler Anblick. Wie die drei dort saßen, als wären sie eine Familie, die sich überlegte, welche Sehenswürdigkeit heute besichtigt werden sollte.
    Ich sah zum Bett. «Also», sagte ich, die Tasche noch über der Schulter. «Ich schätze, der Zimmerservice bringt’s nicht so.»
    Will suchte meinen Blick und hielt ihn fest, und trotz allem, trotz all meiner Ängste, obwohl ich mich zweimal übergeben hatte, obwohl ich mich fühlte, als hätte ich seit einem Jahr nicht geschlafen, war ich auf einmal froh, dass ich gekommen war. Nein, nicht froh, sondern erleichtert. Als hätte ich einen schmerzenden, nagenden Teil meines Selbst herausgeschnitten und hinter mir gelassen.
    Und dann lächelte er. Es war hinreißend, sein Lächeln – langsam und voller Anerkennung.
    Eigenartigerweise stellte ich fest, dass ich zurücklächelte. «Schönes Zimmer», sagte ich, und augenblicklich wurde mir bewusst, wie schwachsinnig diese Bemerkung war. Ich sah Georgina Traynor die Augen schließen und wurde rot.
    Will drehte seiner Mutter den Kopf zu. «Ich will mit Lou reden. Ist das in Ordnung für euch?»
    Sie versuchte zu lächeln. Und in der Art, auf die sie mich dann anschaute, sah ich eine Million Gefühle – Erleichterung, Dankbarkeit, leichte Verstimmung, weil sie von diesen paar Minuten ausgeschlossen wurde, vielleicht sogar einen Funken Hoffnung, dass mein Erscheinen etwas bewirken würde, dass sich das Schicksal noch aus seiner Bahn werfen lassen würde.
    «Natürlich.»
    Sie ging an mir vorbei in den Flur, und als ich von der Tür zurücktrat, um sie durchzulassen, streckte sie den Arm aus und berührte mich ganz leicht am Oberarm. Unsere Blicke trafen sich, und ihrer wurde weicher, sodass sie einen Moment lang wie ein ganz anderer Mensch aussah, und dann drehte sie sich von mir weg.
    «Komm, Georgina», sagte sie, als ihre Tochter keine Anstalten machte, sich zu bewegen.
    Georgina stand langsam auf und ging schweigend hinaus, sogar ihr Rücken strahlte ihren Widerwillen aus.
    Und dann gab es nur noch uns beide.
    Will lag halb aufgerichtet im Bett, sodass er aus dem Fenster auf seiner linken Seite in den kleinen Garten schauen konnte, wo ein Wasserspiel ein munteres, klares Flüsschen unter die Terrasse perlen ließ. An der Wand gegenüber dem Bett hing ein schlecht gerahmter Druck mit Dahlien. Es war ein ziemlich schäbiger Druck dafür, dass er für manche Leute das Letzte war, was sie im Leben sahen, dachte ich.
    «Also …»
    «Du versuchst nicht …»
    «Ich versuche nicht, dich umzustimmen.»
    «Dann bist du also gekommen, weil du akzeptiert hast, dass es meine Entscheidung ist. Es ist das Erste, über das ich seit meinem Unfall wirklich selbst bestimmen konnte.»
    «Ich weiß.»
    Und das war es. Er wusste es, und ich wusste es auch. Es gab nichts mehr für mich zu tun.
    Können Sie sich vorstellen, wie schwer es ist, nichts zu sagen? Wenn jedes einzelne Atom in einem genau das Gegenteil will? Ich hatte den ganzen Weg vom Flughafen aus versucht, mich in diese Situation zu versetzen, mir vorgestellt, wie es werden würde, nichts gegen seine Entscheidung zu sagen, und trotzdem brachte es mich jetzt beinahe um. Ich nickte. Als ich schließlich sprach, klang meine Stimme leise und gebrochen. Es war das Einzige, was ich sagen konnte.
    «Du hast mir gefehlt.»
    Da schien er sich zu entspannen. «Komm zu mir.» Und dann, als ich zögerte: «Bitte. Komm her. Hierher, aufs Bett. Ganz dicht neben mich.»
    Ich nahm wahr, dass in seinem Gesicht echte Erleichterung stand. Dass er sich so sehr darüber freute, mich zu sehen, wie er es gar
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher