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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr
Autoren: Jojo Moyes
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siehst unheimlich schön aus.»
    «Sehr komisch.»
    «Komm her», sagte er. «Ganz nah zu mir.»
    Ich legte mich wieder hin und wandte ihm das Gesicht zu. Ich sah die Uhr über der Tür, und auf einmal hatte ich das Gefühl, die Zeit würde knapp. Ich nahm seinen Arm, legte ihn eng um mich und schob meine eigenen Arme und Beine um ihn, sodass wir eng umschlungen waren. Ich nahm seine Hand, in der er noch etwas Gefühl hatte, verschränkte meine Finger mit seinen und küsste seine Fingerknöchel, als ich den leichten Druck seiner Finger spürte. Sein Körper war mir inzwischen so vertraut. Ich kannte ihn auf eine Art, auf die ich Patricks Körper nie gekannt hatte, seine Stärken und Schwächen, seine Narben und Gerüche. Ich legte mein Gesicht so dicht an seines, dass ich ihn nur noch verschwommen sehen konnte, und ich begann, mich in ihm zu verlieren. Ich strich ihm mit den Fingerspitzen übers Haar, über die Haut, die Augenbrauen, und Tränen rollten mir über die Wangen, meine Nase berührte seine, und die ganze Zeit betrachtete er mich schweigend, musterte mich, als wollte er jedes Molekül von mir einlagern. Er zog sich schon zurück, entfernte sich irgendwohin, wo ich ihn nicht mehr erreichen konnte.
    Ich küsste ihn, versuchte, ihn zurückzuholen. Ich küsste ihn und ließ meine Lippen auf seinen liegen, sodass sich unser Atem vermischte und die Tränen aus meinen Augen zu Salz auf seiner Haut wurden, und ich sagte mir, dass irgendwie auch winzige Partikel von ihm zu winzigen Partikeln von mir würden, in meinen Körper aufgenommen, lebendig verschluckt, immerwährend. Ich wollte mich mit jeder Faser an ihn pressen. Ich wollte ihm meinen Willen einflößen. Ich wollte ihm jedes bisschen Leben geben, das ich spürte, und ihn zum Leben zwingen.
    Mir wurde klar, wie sehr ich mich vor einem Leben ohne ihn fürchtete. Wieso hast du das Recht, mein Leben zu zerstören , wollte ich ihn fragen, und ich darf bei deinem nicht mitreden?
    Aber ich hatte es versprochen.
    Also hielt ich ihn fest, Will Traynor, den Ex-City-Senkrechtstarter, Ex-Stunttaucher, Sportler, Traveller, Liebhaber. Ich hielt ihn eng an mich gedrückt, und ich schwieg, während ich ihm in Gedanken sagte, dass er geliebt wurde. Oh, er wurde so sehr geliebt.
    Ich weiß nicht, wie lange wir so umschlungen blieben. Am Rande nahm ich leise Unterhaltung vor der Tür wahr oder gedämpfte Schritte, eine Kirchenglocke, die irgendwo weit weg läutete. Schließlich spürte ich, wie er einen tiefen Atemzug ausstieß, dabei fast zitterte, und dann zog er seinen Kopf ein Stückchen zurück, sodass wir uns deutlich sehen konnten.
    Ich blinzelte.
    Er lächelte ein bisschen, beinahe entschuldigend.
    «Clark», sagte er ruhig. «Kannst du meine Eltern hereinrufen?»

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 27
STAATSANWALTSCHAFT
z.Hd.: Generalstaatsanwalt
Vertrauliches Gutachten
Betr.: William John Traynor
4.9.2009
    D ie polizeilichen Vernehmungen sämtlicher Beteiligter an dem oben genannten Fall sind abgeschlossen, und alle entsprechenden Dokumente sind diesem Schreiben beigefügt.
    Die Person im Mittelpunkt der Untersuchung ist Mr. Will Traynor, 35 Jahre, ehemaliger Teilhaber der Firma Madingley Lewis in der City of London. Mr. Traynor erlitt im Jahr 2007 bei einem Verkehrsunfall eine Rückenmarksverletzung und wurde als C5/C6-Querschnittspatient mit nur noch sehr eingeschränkten Bewegungsfähigkeiten eines Armes diagnostiziert und benötigte eine 24-Stunden-Betreuung. Seine Krankengeschichte liegt bei.
    Die Unterlagen zeigen, dass Mr. Traynor großen Aufwand betrieben hat, um vor seiner Reise in die Schweiz seine rechtlichen Angelegenheiten korrekt zu regeln. Uns wurde durch seinen Anwalt, Mr. Michael Lawler, eine vor Zeugen unterschriebene Absichtserklärung übergeben, ebenso wie Kopien sämtlicher relevanter Unterlagen, die seine Beratungen mit der Klinik im Vorfeld dokumentieren.
    Die Familienangehörigen Mr. Traynors sowie seine Freunde haben sämtlich ihre Ablehnung seines erklärten Wunsches, sein Leben vorzeitig zu beenden, zum Ausdruck gebracht, doch waren sie angesichts seiner Krankengeschichte und früherer Selbstmordversuche (Einzelheiten im beigefügten Krankenhausbericht), seiner Intelligenz und Charakterstärke nicht in der Lage, ihn davon abzubringen, auch nicht während eines sechsmonatigen Zeitraums, der mit ihm speziell zu diesem Zweck ausgehandelt worden war.
    Es wird Beachtung finden, dass eine der Begünstigten in Mr. Traynors Testament seine
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