Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
Podol-Viertel …«
    Als wir den Whisky ausgetrunken hatten, beschlossen wir, Gin zu probieren.
    »Eigentlich trinkt man den ja mit Tonic«, sagte Dima, als er die Flasche öffnete. »Aber Tonic ist heute alle. Macht nichts, der schmeckt auch so. Erinnerst du dich an Melnitschuk aus der Parallelklasse?«
    »Ja.«
    »Dem haben sie vor zwei Jahren lebenslänglich aufgebrummt, aber dann in fünfzehn Jahre umgewandelt.«
    »Und für was?« interessierte ich mich.
    »Schlimme Geschichte. Er hat von irgendeinem Schwarzhändler fünftausend Grüne gepumpt, und um ihm ein bißchen bange zu machen, hat er ihm tagsüber eine Granate ins Fenster geworfen. Aber da war die Schwiegermutter mit einem Kleinkind. Zwei Tote …«
    »Ja«, sagte ich zögerlich. »Ganz schön schlimm.«
    Das Gespräch kam auf die der heutigen Zeit entsprechenden Kriminal- und Schreckensgeschichten. Wir machten ein Glas zyprischer Oliven und eine Dose Kamtschatkaer Krabben auf. Bei so einem Gespräch trank und aß es sich vorzüglich. Dimas rundes Gesicht rötete sich, seine Augen glänzten. Ich glaube, ich sah bestimmt auch nicht nüchterner aus. Nebenher redeten wir über unsere ›Einkommen‹ – das Wort ›Arbeitslohn‹ war bereits außer Gebrauch gekommen. Dima brachte es auf dreihundert Grüne plus seine Prämien in Naturalien, die er gewöhnlich im Kreis seiner Freunde verfraß und versoff. Leider konnte ich mich mit materiellen Erfolgen nicht rühmen.
    »Mein Chef verdient fünf- bis sechstausend im Monat, er hat noch fünf Filialen in Podol und eine Wechselstube«, erzählte Dima. »Aber ich beneide ihn nicht …«
    »Hör mal, weißt du nicht zufällig, wieviel ein Killer verlangt?« fragte ich.
    »Na hör mal, liest du keine Zeitungen? Je nach Wichtigkeit des Objekts fünftausend oder auch zehntausend Grüne …«
    »Und wenn das Objekt unbedeutend ist?«
    »Wer sollte denn so ein Objekt aus dem Weg räumen wollen?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Na, sagen wir mal, wenn ein Ehemann den Liebhaber seiner Frau aus dem Weg räumen wollte …«, schlug ich vor.
    Dima schwieg einen Moment, dann zuckte auch er mit den Schultern.
    »Das ist eine Lappalie«, sagte er. »Liebhaber haben keine Leibwächter … Das müßte billig sein. Vielleicht fünfhundert … Aber ein echter Profi befaßt sich nicht mit so einer Lappalie … Wenigstens nicht die, die ich kenne …«
    Ich seufzte schwer und goß mir und Dima Gin ein. In der Flasche waren noch ein paar Gläschen. Der Alkohol floß mit Blut vermischt durch die Venen und Arterien, aber der Kopf war klar und hell wie am Tage.
    »Hat deine etwa einen Liebhaber?« fragte Dima plötzlich.
    Ich nickte, eher automatisch als zum Zeichen des Einverständnisses mit Dimas Vermutung. Aber am Vorhandensein eines Liebhabers meiner Frau zu zweifeln wäre einfach dumm gewesen.
    »Na klar«, bestätigte ich mein Nicken mit Worten.
    »Ich kenne so einen Burschen … Eigentlich ein Profi …« Dima sprach leiser, und ich begriff, worüber er redete.
    »Wenn du willst, kann ich mich ja mal mit ihm beraten … Er ist ein ordentlicher Kerl, und von Freunden nimmt er nicht mal einen Vorschuß … Hast du Knete?«
    Ich seufzte wieder.
    »Mit Geld sieht’s gerade nicht so gut aus …«
    »Ich kann dir was borgen, das ist eine ernste Sache … Eine Familienangelegenheit … Also was ist, soll ich mit ihm reden?«
    »Ja«, stieß ich unbedacht heraus. Und um meine Entschlossenheit zu bestärken, nickte ich noch einmal.

4
    Nach zwei Tagen ging ich abends zu Dima in das kleine Geschäft. Kunden waren keine da. Offensichtlich hatte der am Tage über dem Podol-Viertel niedergegangene Eisregen, der von Zeit zu Zeit in Regen überging, die Leute in die Häuser getrieben. Er saß in seinem Geschäft wie in einem hellerleuchteten Aquarium hinter dem Ladentisch und las ein Buch.
    »Grüß dich«, rief ich, als ich durch die weit offenstehende Tür trat. »Was lesen wir denn da?«
    »Was kann man bei so einem Wetter schon lesen? Chase, natürlich. Wie geht’s? Willst du dich ein bißchen aufwärmen?«
    Ich nickte.
    Er zog unter dem Ladentisch eine angefangene Flasche ›Fruchtkeglewitsch‹ hervor, stellte ein Kristallgläschen vor mich und goß es voll. Sich selber schenkte er auch ein. Und wir kippten den Inhalt der Gläser fast beiläufig hinunter. Der Wodka rann erstaunlich sanft durch die Kehle, als hätte er überhaupt keine Prozente.
    »Ein Damenwodka!« erklärte Dima, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte. »Warte, ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher