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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen
Autoren: Andrej Kurkow
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die Ungeschicktheit dieser Geste.
    Offensichtlich war ich trotz allem nervös.
    Auf der Straße war es dämmerig und kühl.
    Als ich auf dem Kontraktowaja-Platz aus der U-Bahn stieg, blieb ich beim Skoworoda-Denkmal stehen. Ich betrachtete die um das Denkmal auf den Bänken sitzenden Paare – ist das nicht ein merkwürdiger Ort für beginnende Liebesbeziehungen und kurze love stories ? Vielleicht hielt sich der Geist des ersten ukrainischen ›Buddhisten‹ Skoworoda immer noch über diesem Platz auf und lockte die Jugend hierher. Es war nicht einmal der Geist eines Buddhisten, sondern vielmehr des ersten vaterländischen Hippies, der die ganze Ukraine und ihre russische Umgebung zu Fuß durchwandert hatte. Da steht es, das offiziell nicht anerkannte Idol der neuen ukrainischen Jugend.
    Würde man sein Beispiel den Massen der jungen Werktätigen als Ideal vorhalten, würden Millionen zu Fuß durch die Ukraine und die anliegende russische Umgebung wandern!
    Aber die Zeit verging, und ich wollte es noch schaffen, einen Kaffee zu trinken. Ein erhabener Gedanke – für einen Nichtraucher hat es keinen Sinn, eine letzte Zigarette zu rauchen, aber für einen Koffeinsüchtigen ist ein letzter starker Mokka heilig!
    Mich überholte eine Straßenbahn, die auf der schummrigen Bratskaja-Straße ein schwaches gelbliches Licht von sich gab, das sofort vom Asphalt verschluckt wurde. Sie bog um die Ecke zum Dnjepr, und es wurde wieder dunkel. Nur vereinzelt warfen erleuchtete Fenster ihr schwaches Licht auf die Straße.
    Es blieb noch eine halbe Stunde und ein Häuserblock übrig.
    Ich verlangsamte meine Schritte. Für einen Kaffee brauchte ich nicht länger als zehn Minuten.
    Aber die Häuserblocks in Podol sind klein wie Puppenstuben, wie sehr man sich auch bemüht, langsamer zu gehen – schon nach wenigen Schritten ist der Block zu Ende.
    Ich betrat das Café. Leise sang Schufutinskij. Leise, weil die Lautstärke völlig runtergedreht war. Mein Platz war frei. In dem ersten kleinen Raum saß eine Gruppe von Männern, die Wodka tranken.
    Ein Pärchen schmuste an dem Ecktisch miteinander. Und aus dem zweiten Raum drang irgendein Lärm herüber. Ich holte mir meinen Mokka, setzte mich auf den seit langem auserwählten Platz, nahm meine Uhr ab und legte sie vor mich auf den Tisch. Der Kaffee war ausgezeichnet, sehr stark. Als habe die Kellnerin gewußt, daß es mein letzter war, und sich bemüht, ihn besonders gut zu kochen.
    Es blieben mir noch fünfzehn Minuten Lebenszeit. Ich spürte, daß meine Hände zitterten. Zwei junge Frauen kamen ins Café und bestellten sich je einen doppelten Likör.
    »Aber beeilt euch«, warnte sie die Kellnerin. »Ich mache heute früher zu, mein Sohn hat Geburtstag.«
    Wieder sah ich auf die Uhr – zwölf Minuten vor sechs.
    Ich trank den Kaffee aus und nahm noch einen.
    »Wieso zittern deine Hände so?« fragte die Kellnerin. »Hast du gestern einen zuviel getrunken?«
    Ich nickte, da ich keine Lust auf ihre Anteilnahme hatte.
    »Du brauchst keinen Kaffee, sondern was Härteres«, riet sie mir. »Trink einen Wodka!«
    »Ich hab kein Geld.«
    »Bei mir kannst du anschreiben lassen«, sagte sie und goß mir einen Doppelten ein.
    »Danke«, ich nahm meinen Kaffee und den Wodka und kehrte an meinen Tisch zurück.
    Es war fünf vor sechs, als die Kellnerin nervös wurde und begann, alle zur Eile anzutreiben und hinauszubitten. Die Männer tranken ihren Wodka aus und torkelten ohne jeden Widerspruch lärmend auf die Straße. Aus dem anderen Raum kamen auch allerlei angetrunkene Leute heraus.
    Mit starrem Blick sah ich auf die offene Eingangstür, durch die alle das Café verließen, aber niemand hereinkam.
    »Na mach schon, schlaf hier nicht ein!« Die Kellnerin stand neben mir und beugte sich zu mir hinunter.
    Ich sah mich um – außer mir war niemand mehr im Café.
    »Ich war nett zu dir, also sei du bitte auch nett zu mir«, sagte sie freundlich. »Mein Wasja wird heute achtzehn. Ich muß noch Salate machen …«
    Ich nickte, kippte meinen Wodka, trank den letzten Schluck Kaffee und ging zum Ausgang. Schon mit einem Bein auf der Straße, stieß ich mit einem Burschen in einer kurzen Lederjacke zusammen. Er wollte ins Café.
    »Schluß!« rief die Kellnerin ihm zu. »Es ist geschlossen!« Ich ließ ihn durch, ging weiter und hörte draußen ihr Gespräch. »Na wenigstens einen einzigen Doppelten!« bettelte er. Ich hielt meine Uhr krampfhaft in der Hand. Es war dunkel, und ich hätte wohl kaum den
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