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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen
Autoren: Andrej Kurkow
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wenig unter der Dauerwelle gelitten hatten, hingen ihr leicht gelockt bis zu den Schultern, tatarisch geschnittene Augen, eine kleine spitze Nase. Schmale, aber frische Lippen. Hatte ich sie in der Nacht geküßt? Ich erinnerte mich nicht, und es tat mir leid, daß ich mich nicht an die Berührung dieser Lippen erinnern konnte.
    »Wo bleibst du?«
    »Ich komme schon«, antwortete ich.
    Ich setzte mich auf den Bettrand und reichte ihr die Tasse.
    »Hast du Schokolade da?« fragte sie.
    Ich schüttelte bedauernd den Kopf.
    »Na, macht nichts«, lächelte sie.
    Wie hieß sie nur? Die Frage quälte mich.
    »Entschuldige«, plapperte sie. »Du bist lieb, aber ich habe vergessen, wie du heißt …«
    »Tolja«, sagte ich und nutzte sogleich die Gelegenheit, um mich bei ihr für den gleichen Gedächtnisschwund zu entschuldigen.
    »Lena … das ist mein richtiger Name, das heißt, der im Paß steht … Und beruflich bin ich Wika …«
    »Na, besser Lena …«
    »Gut, für dich werde ich Lena sein …«
    Dieser Morgen endete gegen Abend.
    »Ich muß gehen …«, sagte Lena und zuckte mit ihren zarten Schultern.
    Ich begann von Geld zu stottern, darüber, daß mir Schulden heilig seien, ich aber gerade jetzt kein Geld hätte …
    »Vergiß es«, lächelte sie. »Lena nimmt kein Geld. Wenn du Wika kennengelernt hättest, dann müßtest du zwanzig Dollar hinlegen … Bis dann!«
    Zum Abschied küßten wir uns.
    »Wenn du willst – wirst du mich schon finden«, sagte sie schon im Treppenhaus, und ihre Absätze klapperten abwärts.
    »Der Fahrstuhl geht!« schrie ich.
    »Soll er doch!« schrie sie als Antwort.
    Draußen war es dunkel. Der Herbstwind verbreitete gewöhnlich Traurigkeit, aber ich war nicht traurig. Ich war fröhlich und dachte: Das ist die Wiedergeburt oder ein neuer Anfang. Irgend etwas Zweites, irgend etwas, was Hoffnung auf die Zukunft gab.

11
    Gegen sieben Uhr abends klingelte das Telefon.
    Mein früherer Klassenkamerad Dima war dran.
    »Du weißt, daß gestern was schiefgegangen ist … Kostja ist zu mir gekommen. Er bittet um Entschuldigung … Hast du jetzt gerade Zeit?«
    »Das ist das einzige, was ich habe«, lachte ich in den Hörer.
    »Komm vorbei, wir trinken einen Doppelten.«
    Nur zu gern willigte ich ein.
    Wir saßen bis Mitternacht zusammen. In dem verhangenen Kiosk war es warm und gemütlich, ein riesiger Heizkörper war eingeschaltet, es war ein Gefühl, als säßen wir am Kamin.
    Nachdem wir zum Aufwärmen eine Flasche ungarischen Rotwein getrunken hatten, machten wir uns an einen Limonenwodka Marke Nikolaj. Der schmeckte hervorragend zusammen mit Dorschleber, und ich dachte, daß man, um den Reichtum des Lebens zu empfinden, tatsächlich in einem Delikatessengeschäft arbeiten oder wenigstens ein enger Verwandter des Verkäufers sein müßte. Mir genügte es zwar, ein früherer Klassenkamerad zu sein, aber das war reine Glückssache. Viele Leute wollten ihre früheren Klassenkameraden gar nicht mehr kennen.
    »Verstehst du«, nach einem kleinen Aufwärmen mit Limonenwodka wandte sich Dima wieder dem seriösen Gesprächsthema zu. »Seine Uhr hat gestreikt. Kurz, er ist da erst nach Torschluß angekommen. Sonst ist er immer pünktlich. Mach also jetzt keine Faxen, er kümmert sich ab sofort um alles allein, das ist Ehrensache. Und in den Dingen sind die da ganz streng. Das war alles, vergessen wir es! Das Leben ist eine tolle Sache. Da steckt alles drin. Ich habe gestern ein Mädchen kennengelernt!« und Dima wiegte den Kopf hin und her, offensichtlich fehlten ihm die Worte. »Sie ist Friseuse. Manchmal lernst du jemanden kennen und willst am liebsten sofort heiraten. Vielleicht heirate ich irgendwann mal. Aber zuerst muß ich eine Wohnung kaufen …«
    »Ich habe eine Wohnung«, warf ich ein. »Meine Frau ist ausgezogen.«
    »Die kommt zurück!« wollte er mich beruhigen.
    »Lieber nicht.«
    »Hat sie sich denn schon abgemeldet?«
    »Nein.«
    »Das heißt also, es ist noch nicht deine Wohnung. Verstehst du, erst wenn ich eine Wohnung habe und niemand außer mir da gemeldet ist, erst dann bin ich der Herr des Hauses.«
    Das sah ich ein.
    Zum Abschied schenkte er mir eine Flasche Keglewitsch-Wodka.
    Wir schlossen den Laden zu und liefen gemeinsam zur U-Bahn.
    »Weißt du«, sagte er unterwegs, »ich kann dir ein hübsches kleines Geschäft vorschlagen, da steckt ein bißchen Geld drin.«
    »Ein kriminelles?« fragte ich.
    »Nein, nicht ganz. Obwohl heutzutage ja alles kriminell ist.«
    »Ja,
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