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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde
Autoren: T.C. Boyle
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sorgfältigen Reinigung zu unterziehen, und dann beobachten wir, wie er das Taschentuch wieder faltet und ordentlich in der Tasche verstaut, als hätten wir so etwas noch nie gesehen. »Hör mal«, sagt er, »jetzt nach so vielen Jahren...« Er legt eine Pause ein, als hätte er den Faden verloren, aber es ist nur gespielt, und ich sehe, wieviel Spaß es ihm bereitet. Aber ich habe auch meinen Spaß. O ja. »Was ich fragen wollte: du hast doch das Feuer gelegt damals, oder? Und diese Maschinen zerstört? Was? Hast du?«
    Der Barkeeper blinzelt, als wäre er soeben aus einem Traum erwacht. Andrea legt mir die Hand auf den Arm. »Nur um die Neugier eines alten Mannes zu stillen«, keucht Quinn.
    Ich beuge mich zu ihm vor, Andrea drückt sich eng an mich, der Barkeeper hängt über der Führungsstange des Tresens wie ein Sack Getreide, und ich lasse mir Zeit für eine gute Aussprache und die Komplikationen meines Zahnersatzes. »Ja«, sage ich so deutlich wie möglich, damit es keine Mißverständnisse gibt, »ich habe den Brand gelegt und die Sachen zerstört, und weißt du was? Ich würde es wieder tun. Gern sogar.«
    Oh, dieser Blick. Er ist der weise Mann aus dem Märchen, der Quizmaster, das Orakel in der Höhle. Sein Doppelkinn zittert, und der Drink, inzwischen vergessen, steht bedrohlich schief in seinem Schoß. »Und was hast du erreicht? Sieh dich doch um – sieh dich nur um und beantworte mir das.«
    Das ist es, der Punkt, auf den wir hingearbeitet haben, der Sinn von alledem, durch wie viele Jahre und wie viele Verluste hindurch, kann ich nicht einmal ansatzweise zählen, und die Antwort liegt mir auf den Lippen wie ein Brocken von etwas so Ekligem und Bitterem, daß man nicht anders kann, als es auszuspucken. »Nichts«, sage ich. »Überhaupt nichts.«

EPILOG
    Sierra Nevada, Juni/Juli 2026
    Es gibt eine Redewendung, die mir immer gefallen hat: Nicht ohne Beklommenheit , so wie in »Nicht ohne Beklommenheit fahren sie um die Kurve in das, was einmal die Pine Street gewesen ist, und werfen den ersten Blick auf die eingefallene, abgerissene und ausgeplünderte Hütte, in der sie den Rest ihres Jungaltenlebens werden fristen müssen«. Diese Wendung werde ich hier nicht gebrauchen, wenn sie mir auch auf der Zunge liegt, als das sonnenversengte Dach von Ratchiss’ Behausung in Sicht kommt, teilweise verdeckt durch etwas, was wie die Arbeit von einem Dutzend Vierzig-Tonnen-Bibern aussieht. So viele Bäume sind hier umgestürzt, daß wir die Hütte zuerst gar nicht erreichen, obwohl in irgendeiner fernen Vergangenheit jemand mit einer Kettensäge dagewesen ist und wenigstens eine primitive Einbahnschneise in die Zufahrt gebahnt hat –ich kann mir diesen Jemand gut vorstellen: ein vitaler jungalter Kerl wie ich, mit Bart vielleicht, Holzfällerhemd und roten Holzfällerhosenträgern, die seine vor Dreck starrenden Jeans halten, und ich sehe auch, wie dieser Jemand verzweifelt aufgibt, während ein Sturm den anderen jagt und fünfzig Meter hohe Bäume umwirft wie hohles Schilfrohr.
    Ich stelle den Motor ab, halte Petunia fest an der Leine und trete hinaus in die grelle Spätnachmittagssonne. Die Luft hier ist nicht sonderlich stickig, auch nicht sonderlich heiß, und sie enthält einen Duft, der mich zurückträgt, etwas Undefinierbares und Karges, der Geruch nach Waldboden, Espenschößlingen, die ersten erblühenden Wildblumen – oder Wespen, ist es das? Schwärmende Faltenwespen über einem toten Wesen, das unter dem Gewirr der umgestürzten Bäume begraben liegt. Na schön. Wenigstens Petunia bereitet kein Problem – sie ist schlaff wie ein nasses Tuch, blinzelt aus ihren Canidenaugen und, nein, Petunia, hier ist weder Patagonien noch die Pampa –, während Andrea, gut ausgeschlafen und aufgedreht vom Sake, die Beifahrertür mit mächtigem Schwung zuknallt, das Kinn vorgereckt und ein Brennen im Blick, das ich nur zu gut kenne. Direkt vor uns, zwei Meter vor der Stoßstange des Olfputt, liegt ein Baumstamm von derartigem Umfang, daß sie sich auf die Zehenspitzen stellen muß, um darüberzublicken. »Sieht gar nicht übel aus«, sagt sie. »Vergleichsweise.«
    »Vergleichen womit?« kontere ich zur Begleitung von Petunias Urin, der auf die Straße prasselt. »Mit dem Ende der Welt? Dem Zusammenbruch der Biosphäre? Dem Tod der Wälder und aller Lebewesen darin?«
    »Ein Baum liegt quer über dem Dach, soweit ich das von hier sehe – scheint so, als ob der Kamin hin ist, ein Stück jedenfalls. Und die
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