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Ein Fest der Liebe – Nacht der Wunder

Ein Fest der Liebe – Nacht der Wunder

Titel: Ein Fest der Liebe – Nacht der Wunder
Autoren: Linda Lael Miller
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war, als ob sich ein Schleier herabgesenkt hätte. Nicht nur, dass er das Licht aus den Fenstern nicht mehr sehen konnte, er konnte den Zug selbst nicht sehen. Offenbar hatte er jegliches Orientierungsgefühl verloren – vielleicht war er nur einen Schritt vom Abgrund entfernt.
    Sei vernünftig, sagte er sich.
Denk nach
.
    Sekundenlang ließ der Wind nach und war nicht mehr als ein Wispern, als ob er tief Luft holen würde, um dann wieder mit voller Kraft zu blasen. In dieser kurzen Stille hörte er eine leise Melodie, Gesang.
    Blind in dem auf ihn prasselnden Schnee steuerte Morgan darauf zu. Er blinzelte, um klarer zu sehen, und erhaschte einen Blick auf schimmernde Zugfenster. Kurz darauf ließ er sich schwer gegen die Seite des Waggons sinken und tastete sich daran entlang, bis er dankbar das klirrend kalte Metall des Türgriffs unter den Händen spürte.
    Es gelang ihm, sie zu öffnen und mehr oder weniger hineinzufallen. Drinnen sank er kraftlos auf die Knie. Seine Lungen brannten, die Taubheit in Händen, Füßen und dem Gesicht wich langsam einem scharfen Schmerz.
    Waren das Erfrierungen? Angenommen, er würde seine Finger verlieren? Wozu war ein Arzt und gelegentlicher Chirurg ohne Finger gut?
    Mit letzter Kraft zog er sich auf die Beine und starrte direkt in die aufgerissenen Augen von Lizzie McKettrick. Er hätte in dem unergründlichen Blau dieser Augen versinken können. Sie legte etwas um ihn – eine Decke oder einen Quilt oder vielleicht einen Umhang. Dann durchwühlte sie seine Taschen, förderte die Flasche des Vertreters zutage, zog den Korken heraus, hob den Whiskey an seine Lippen und befahl ihm zu trinken.
    Morgan nahm ein paar brennende Schlucke und schob die Flasche dann zur Seite. Seine Sicht klärte sich, das Dröhnen in seinen Ohren ließ ein wenig nach. “Wenn Sie ein wenig, nur ein wenig Güte in Ihrem Herzen finden”, keuchte er mühsam, “dann werden Sie jetzt nicht sagen: Ich habe Sie ja gewarnt!”
    “Na gut”, entgegnete Lizzie. “Aber ich
habe
Sie gewarnt, nicht wahr?”
    Er lachte. Nicht, weil irgendetwas lustig war. Auf seinem kleinen Ausflug in den Schneesturm hatte er kaum etwas gesehen. Doch seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt. Der Waggon war entgleist und neigte sich gefährlich Richtung Abgrund. Und niemand, ob er nun McKettrick hieß oder nicht, würde es bei diesem Wetter zu ihnen schaffen.
    Es würde an ein Wunder grenzen, wenn auch nur einer von ihnen überlebte.
    Als Morgan zu zittern aufgehört hatte, gab Lizzie den Quilt Mrs. Halifax zurück und lief dann wieder nach vorn, um sich neben ihn zu setzen. Whitley starrte sie böse an, als sie an ihm vorbeikam.
    Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt, den Mantel des Schaffners zu tragen, obwohl er nach Rauch und Schweiß roch. Zumindest war er warm. Sie überlegte, ihn Morgan anzubieten, wusste aber, dass er ablehnen würde. Also versuchte sie es erst gar nicht.
    “Ich habe Sie singen hören”, murmelte Morgan. “So habe ich zurückgefunden. Ich habe Sie singen hören.”
    Zögernd berührte sie seine Hand und bedeckte sie dann ganz. Seine Haut fühlte sich wie Eis an, seine Kleider waren feucht. Sobald er eingeschlafen war, wollte sie in den Gepäckwagen gehen, um ihre Truhen und Taschen nach warmer Kleidung zu durchwühlen – und Whitleys auch. Außerdem gab es im Frachtwaggon hinter dem Güterwagen vielleicht etwas zu essen, Streichhölzer und sogar Decken.
    Lizzies Magen knurrte. Keiner von ihnen hatte seit ihrem kurzen Aufenthalt in Flagstaff vor Stunden etwas gegessen. Sie selbst hatte an ihrem ledrigen Hackbraten und den überkochten Kartoffeln nur herumgepickt. Jetzt hätte sie das armselige Gericht mit Begeisterung verschlungen und danach einen starken, heißen Kaffee bestellt.
    Kaffee
.
    Auf einmal schmachtete sie nach einer Tasse mit viel Sahne und Zucker und einem großzügigen Schluck Brandy.
    Morgans Finger bewegten sich, er drückte sanft ihre Hand. “Lizzie?”
    “Ich habe gerade an eine heiße Tasse Kaffee gedacht”, gestand sie ihm leise. “Und an etwas zu essen. Glauben Sie, dass im Frachtwaggon vielleicht etwas Essbares sein könnte?”
    Er grinste sie schief an. “Ich habe Sie heute im Restaurant am Bahnsteig beobachtet. Sie haben Ihren Hackbraten kaum angerührt.”
    “Sie haben mich beobachtet?” Die Vorstellung fand sie beunruhigend und erregend zugleich.
    “Das war kaum zu verhindern”, sagte Morgan. “Sie sind eine sehr schöne Frau, Lizzie. Ich gestehe,
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