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Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Titel: Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Autoren: Christine Birkhoff
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meine eigene Tochter Mia heute ist. Eine Toilette gab es im Badezimmer nicht. Sie befand sich im Flur.
    Eines Nachts wachte ich auf, weil ich dringend zur Toilette musste. Und unglücklicherweise musste ich »groß«. Minutenlang versuchte ich, meinen unbändiger werdenden Stuhldrang zu unterdrücken, in der panischen Hoffnung, dass sich die Tür bald wieder öffnen würde und meine Kerkermeister zurückkehrten. Es war umsonst. In meiner Verzweiflung absolvierte ich mein Geschäft in der Dusche und betete inständig, dass die Strafe milde ausfallen würde.
    Das Gebrüll meiner Mutter und meines Vaters riss mich aus dem kindlichen Tiefschlaf.
    »Kein normales Kind scheißt nachts!«, schrie meine Mutter wie von Sinnen, und ein höllischer Schmerz zuckte durch meine Kopfhaut. An den Haaren schleifte sie mich aus dem Bett, zerrte mich wutentbrannt zur Dusche und drosch auf mich ein. »Du Miststück! Das hast du extra gemacht! Du bist ein Ekel! Hätte ich gewusst, was aus dir geworden ist, hätte ich dich gleich nach der Geburt wieder reingeschoben!«
    Die seelischen Grausamkeiten und der Ideenreichtum meiner Mutter kannten keine Grenzen. Eine bei ihr beliebte abendliche Tradition war es, mich nach dem Duschen aufzufordern, mich nackt auf den Boden des Badezimmers zu legen. Sie kniete sich vor mich hin, riss mir unsanft die dünnen Schenkelchen auseinander, roch in meine Scham und sagte dann entweder: »Zieh den Schlafanzug an!« oder »Du stinkst! Wasch dich, du Sau!« Jeden Abend musste ich diese erniedrigende Prozedur über mich ergehen lassen, und wenn ich heulte und jammerte, schlug sie mir ins Gesicht und drückte mich auf den Boden. Wann immer ich diesen alten muffigen Teppichboden unter meinem Rücken spürte, starb ein Stückchen mehr an Intimität. Mir wird schlecht, wenn ich heute daran denke. Ich habe gelernt, diese Erinnerung zu akzeptieren als ein Manifest, das mir keine Therapie der Welt nehmen kann.
    An einem Wintermorgen wachte ich auf und stellte fest, dass an Aufstehen nicht zu denken war. Mir war entsetzlich heiß, und meine Glieder gehorchten mir nicht mehr. Meine Mutter verließ wie gewohnt um halb acht das Haus, um zum Unterricht in die Schule zu gehen. Mich ließ man im Badezimmer liegen, und als eine Besserung meines Zustandes am Mittag nicht festzustellen war, bequemte man sich, einen Arzt zu holen. »Ihre Tochter hat eine schwere Lungenentzündung und bedarf der absoluten Ruhe«, konstatierte er. Über eine Woche lang ließen mich meine Eltern alleine in meinem Bettchen vor dem Gasboiler liegen. Niemand war da, der mir die durchgeschwitzten Hemdchen wechselte oder mir etwas zu trinken brachte. Ich fieberte vor mich hin und wachte auf, wenn meine Mutter schimpfend irgendeine streng riechende Paste auf die kleine Brust schmierte und mit scharfem Ton fragte: »Haste Durst?«
    Ach ja, der Gasboiler und die Kamera. Dieser Lüge kam ich übrigens schnell auf die Spur. Nachdem ich mich wochenlang kaum traute, auch nur in der Nase zu bohren, befahl mir eines Tages mein kleines Teufelchen in mir, mich auf einen Hocker zu stellen und Faxen zu machen. Ich steigerte mich immer mehr in dieses Spiel hinein und schnitt Grimassen, von denen ich überzeugt war, dass sie JEDEN Erwachsenen zur absoluten Weißglut bringen würden. Unverschämtheiten, quasi ... Als sich nach Tagen des bangen Wartens nichts tat, wusste ich, dass meine Mutter und mein Vater meine ständigen Lügen (die gab es wirklich) mit Prügelaktionen und »Du musst jetzt hundert Mal schreiben: ICH DARF NICHT LÜGEN!« straften, es selbst aber keineswegs mit der Wahrheit so genau nahmen. Von diesem Tag an schloss ich Freundschaft mit dem Gasboiler und genoss die Stunden der Einsamkeit, in denen ich friedlich den Tanz der kleinen Flamme betrachten konnte.
    Mein Leben hatte sich nach den kurzen Jahren im großelterlichen Haushalt von Grund auf geändert. Bei Oma gab es einen großen Garten, und geschimpft wurde nur, wenn es Anlass dazu gab. Ich erinnere mich an heiße Sommertage, in denen ich mit meinem roten Frotteehöschen durch den Sommerregen sprang und in geistiger Verzückung die Rufe meiner Oma überhörte. Dass diese Sommerregen zumeist eine Begleiterscheinung von Gewittern war, entzog sich meiner kindlichen Kenntnis. Die Tropfen prickelten auf meiner sonnengebräunten Haut und begannen in kleinen Pfützen auf und ab zu tanzen. Im Garten bauten die beiden alten Damen Obst an. Ich futterte mich durch Erdbeerreihen, stieg auf die Bäume, um
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