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Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Titel: Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Autoren: Christine Birkhoff
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die ersten reifen Kirschen zu pflücken, und juchzte vor Freude, wenn Oma mit dem Pflaumenkäscher bewaffnet zum Zwetschgenbaum marschierte. Ich robbte mich abwechselnd von den Stachelbeersträuchern hinüber zu den weißen Johannisbeeren, lag wenig später unter den Büschen üppiger roter Beeren und beendete meine kulinarische Obstreise mit dicken Rhabarberstangen, die ich roh aß. Ich durfte für knapp drei Jahre ein ganz normales, ständig spielendes und bewegungsfreudiges Mädchen sein.
    In der Wohnung meiner Eltern war alles anders geworden. Regelmäßig musste mich meine Mutter morgens aus der Bettdecke wickeln, weil ich jede Nacht aus dem Bett fiel und dabei die Decke festhielt. Das Ergebnis war, dass ich zusammengeschnürt gleich einer Kohlroulade auf dem Boden lag und dort ausharrte, bis der Morgen graute. Nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, nach meinen Eltern zu rufen. Sie zu wecken, wäre der Garant für weitere Übergriffe gewesen, und diese versuchte ich, wie besessen zu vermeiden.
    Nach der Schule musste ich in der Klasse, in der meine Mutter unterrichtete, warten und mit den Hausaufgaben beginnen. An einem Tag verschwand ein Junge aus der Klasse und kam nach der üblichen »Ich-muss-mal-aufs-Klo«-Zeit nicht wieder. Meine Mutter fand ihn dann auf der Jungentoilette, wo er verzweifelt versuchte, sich mit nassem Klopapier die roten Striemen auf dem Rücken zu kühlen. Der Junge war der Sohn von Herrn Bürger, einem Lehrerkollegen meiner Mutter. Es gab ein Riesentheater, die restlichen Schüler wurden vorzeitig nach Hause geschickt, und meine Mutter kümmerte sich um den armen Jungen. Vor der Schuldirektorin wetterte sie über ihren Kollegen und verlangte, dass dieser zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Was auch immer anschließend besprochen wurde: Tatsache war, dass meine Mutter als zuständige Klassenlehrerin die Aufgabe übernahm, täglich den Rücken des Kindes zu begutachten, um sicherzustellen, dass sich ihr Lehrerkollege an seine Besserungsbeteuerungen auch wirklich hielt.
    Als ihre Tochter, der sie täglich die Genitalien begutachtete und während der Prügelaktionen meines Vaters stets so tat, als wäre sie gar nicht anwesend, befremdete mich ihr grandioser Auftritt. Mehr noch, es widerte mich an, und ich beschloss in meiner kindlichen Logik, den kleinen Bürger-Sohn blöd zu finden. Er genoss den Schutz meiner Mutter, den sie mir versagte.
    Meine eigene Klassenlehrerin mochte ich eigentlich sehr gern. Sie war eine ältere, etwas korpulente Kollegin und verzweifelte an meinem Ungehorsam. Wann immer sich die Gelegenheit bot, störte ich als selbstberufener Klassenclown den Unterricht. Der Unterricht langweilte mich enorm, da ich noch vor meiner Einschulung mit fünf Jahren lesen und schreiben konnte. Ein nicht aus dem Mund entfernter Kaugummi, der, immer wieder aufs Neue unter die Tischplatte geklebt, überlebte, ließ das Fass schließlich überlaufen. Frau Schliemann packte mich am Arm, schleifte mich in die kleine Pausenhalle und versohlte mir vor versammelter Mannschaft den Hintern. So richtig verstanden habe ich das damals nicht. Ich selbst empfand mich schließlich nicht als so schlimm. Als Frau Schliemann dann nach Unterrichtsschluss meiner Mutter ihr Leid über meinen Ungehorsam klagte, hatte sie für die restlichen drei Schuljahre bei mir verschissen. Ich empfand sie als Denunziantin, der es offensichtlich Spaß machte, Öl ins Feuer zu gießen. Sie musste doch wissen, was mich zu Hause erwarten würde!
    Meine Mutter ergriff meinen Arm und zerrte mich nach Hause. Sie drohte: »Du weißt ja, was auf dich zukommt, wenn ich das deinem Vater erzähle!«
    Ja, ich wusste es, und ich spürte, dass sie gar nicht darauf aus war, mich vor seinen Übergriffen zu schützen, sondern lieber ihre eigene Tochter opferte, in der Hoffnung, dass nach diesen Prügelattacken ihre eigene Haut sicherer war angesichts der an mir ausgelebten Aggressionen. Mein Vater schlug denn auch, was das Zeug hielt. Immer wieder sausten seine Fäuste auf mich herab, und wenn ich schrie, schlug er noch fester zu, damit ich aufhören sollte zu schreien. Und dann endlich kam wieder das eine von den beiden guten Zeichen. Erleichtert stellte ich fest, dass ich mich bei seinem letzten Schlag nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Ich spürte, wie ich das Gleichgewicht verlor, der Boden unter meinen Füßen schwand und wie ich kopfüber in Richtung Küchentischplatte fiel. Mit einem Krachen landete meine linke
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