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Ein Fall für Kay Scarpetta

Ein Fall für Kay Scarpetta

Titel: Ein Fall für Kay Scarpetta
Autoren: Patricia Cornwell
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ein Vorhängeschloß gekauft, das abends und an Wochenenden benutzt wird, um die vorderen Doppelglastüren zusätzlich zu verschließen. Plötzlich, während ich an meinem Tisch arbeitete, rüttelte jemand diese Eingangstüren so kräftig, daß die Kette immer noch hin und her schwang, als ich mich endlich zusammennahm und in den Korridor hinunterging, um nachzusehen. Niemand war da. Manchmal versuchen Obdachlose in unsere Toiletten zu kommen, aber als ich hinausschaute, konnte ich niemanden sehen. Ich ging zurück in mein Büro und war so nervös, daß ich, als ich die Lifttüren auf der anderen Seite des Ganges aufgehen hörte, eine Schere in die Hand nahm und bereit war, sie als Waffe zu benutzen. Es war der Sicherheitsbeamte der Tagschicht.
    "Haben Sie eben versucht, durch die vordere Glastür zu kommen?" fragte ich ihn.
    Er schaute neugierig auf die Schere, die ich umklammert hielt, und sagte, er sei es nicht gewesen. Ich bin sicher, die Frage schien ihm eigenartig zu sein. Er wußte, daß die Vordertüren mit Ketten verschlossen waren, und nur er hatte die Schlüssel für die anderen Türen im Gebäude. Er hatte also keinen Grund, dur ch die Vordertüren zu kommen.
    Die unbehagliche Stille trat wieder ein, als ich mich an meinen Tisch setzte und versuchte, den Bericht über Lori Petersen zu diktieren. Aus irgendeinem Grund konnte ich nicht sprechen, konnte es nicht ertragen, die laut ausgesprochenen Worte zu hören. Das Gefühl überkam mich langsam, daß niemand diese Worte hören sollte, nicht einmal Rose, meine Sekretärin. Niemand sollte etwas hören über den glitzernden Rückstand, die Samenflüssigkeit, die Fingerabdrücke, die tiefen Verletzungen an ihrem Hals - und, am schlimmsten, über die Zeichen ihrer Qual. Der Mörder wurde immer grausamer.
    Mord und Vergewaltigung reichten ihm nicht mehr. Erst als ich die Fesseln von Lori Petersens Körper entfernt, kleine Schnitte in verdächtige rotgefärbte Hautbereiche gemacht und nach gebrochenen Knochen getastet hatte, wurde mir klar, was sich vor ihrem Tod abgespielt haben mußte.
    Die blauen Flecken waren so frisch, daß sie an der Oberfläche kaum sichtbar waren, aber die Einschnitte zeigten die zerstörten Blutgefäße unter der Haut, und die Muster sprachen dafür, daß sie mit einem stumpfen Gegenstand, wie einem Knie oder einem Fuß, gestoßen worden war. Auf der linken Seite waren drei Rippen in Serie gebrochen sowie vier Finger. In ihrem Mund fand ich Fasern, die meisten auf ihrer Zunge, was vermuten ließ, daß sie zu einem gewissen Zeitpunkt geknebelt worden war, um zu verhindern, daß sie schrie.
    Ich erinnerte mich an die Geige auf dem Musikregal im Wohnzimmer und an die chirurgischen Zeitungen und Bücher auf dem Schreibtisch im Schlafzimmer. Ihre Hände. Sie waren die wertvollsten Instrumente, etwas, womit sie heilte und Musik machte. Er muß ihre Finger absichtlich gebrochen haben, einen nach dem andere n, während sie gefesselt war.
    Das Diktiergerät lief und nahm die Stille auf. Ich schaltete es ab und rollte mit meinem Arbeitsstuhl hinüber zum Computerterminal. Der Monitor blinkte, und schwarze Buchstaben liefen über den Bildschirm, als ich anfing, den Autopsiebericht selbst zu schreiben. Ich sah nicht auf die Zahlen und Notizen, die ich während der Autopsie gemacht hatte. Ich wußte alles über die Frau. Ich hatte die totale Erinnerung. Der Satz "ohne pathologischen Befund" spukte mir im Kopf herum. Es hatte ihr nichts gefehlt. Ihr Herz, ihre Lungen, ihre Leber. "Ohne pathologischen Befund." Sie starb in vollkommener Gesundheit.
    Ich schrieb weiter und weiter, bis ich plötzlich aufschrak. Fred, der Sicherheitsbeamte, stand in meiner Tür. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich gearbeitet hatte. Seine Schicht fing um zwanzig Uhr wieder an. Alles, was gewesen war, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte, schien wie ein Traum zu sein, ein schrecklicher Traum.
    "Immer noch hier?" Dann zögernd: "Ah, da ist so eine Bestattungsgesellschaft unten, um eine Leiche zu holen, aber ich kann sie nicht finden. Die sind den ganzen Weg von Mecklenburg gekommen. Ich weiß nicht, wo Wingo ist... "
    "Wingo ist schon vor einigen Stunden nach Hause gegangen", sagte ich. "Welche Leiche?"
    "Jemand namens Roberts, ist von einem Zug überfahren worden."
    Ich überlegte einen Moment. Außer Lori Petersen waren es heute sechs Fälle gewesen. Ich erinnerte mich vage an das Zugunglück. "Er ist im Kühlraum."
    "Sie sagen, sie können sie dort nicht finden."
    Ich nahm
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