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Ein Drama am Ufer des Meeres (German Edition)

Ein Drama am Ufer des Meeres (German Edition)

Titel: Ein Drama am Ufer des Meeres (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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seine stählernen Krallen bis ins Herz gräbt und sie mit der mörderischen Geschwindigkeit davonträgt, die das Pulver der Kugel mitteilt. Als wir einen Schritt innerhalb des Raumes getan hatten, der sich vor der Grotte befand, eines freien Platzes, hundert Fuß über dem Ozean und geschützt gegen sein Toben durch einen Wasserfall abgebröckelter Felsen, da durchzuckte uns ein Schauder, fast wie wenn ein plötzlicher Lärm mitten in einer stillen Nacht uns aufschreckt. Auf einem Granitstück sitzend hatten wir einen Mann gesehen, der uns anblickte. Sein Blick, dem Feuer einer Kanone gleichend, kam aus zwei blutunterlaufenen Augen, und seine stoische Unbeweglichkeit war nur zu vergleichen mit der unveränderlichen Stellung der Granithaufen, die ihn umgaben. Seine Augen machten eine langsame Bewegung, sein Körper blieb starr, als wäre er versteinert; und dann, nachdem er jenen Blick auf uns geworfen hatte, der uns lebhaft erschütterte, wandte er seine Augen zurück zur Weite des Ozeans, sah unverwandt daraufhin, trotz des Lichts, das daraus hervorstrahlte, so wie man sagt, daß die Adler in die Sonne sehen, ohne ihre Augenlider zu senken, und behielt sie fest darauf gerichtet. Versuchen Sie, mein teurer Onkel, sich einen jener alten Eichbaumstümpfe in Erinnerung zu rufen, deren knotiger Stamm, gestern vom Sturm seiner Äste beraubt, sich phantastisch an einem einsamen Weg erhebt, und Sie werden ein Bild jenes Menschen haben. Das waren die zerrütteten Formen eines Herkules, das Antlitz eines olympischen Jupiters, aber zerstört vom Alter, von der harten Arbeit des Seemanns, von Kummer, von grober Kost und wie von einem Blitzschlag geschwärzt. Als ich seine behaarten und schwieligen Hände ansah, erblickte ich Nerven, die eisernen Venen glichen. Alles an ihm kündigte eine starke Konstitution an. In einem Winkel der Grotte bemerkte ich einen Haufen Moos und auf einer grob behauenen Platte ein rundes angebrochenes Brot, das auf einer Steinkruke wie ein Deckel lag. Noch niemals, wenn meine Vorstellung mich zu den Wüsteneien trug, wo die ersten Anachoreten der Christenheit lebten, hat sie mir eine Gestalt von so gewaltiger Religiosität oder so schrecklicher Bußfertigkeit gezeigt, wie es bei diesem Menschen der Fall war. Sie, mein teurer Onkel, der Sie oft den Beichtstuhl versorgt haben, Sie haben vielleicht niemals eine so herrliche Gewissensqual gesehen, aber diese Gewissensqual war ertränkt in den Fluten des Gebets, des Gebets, das in stumme Verzweiflung übergeht. Dieser Fischer, dieser Seemann, dieser plumpe Bretone war geadelt durch ein unbekanntes Gefühl. Hatten diese Augen denn geweint? Diese Hand einer grob gehauenen Statue, hatte sie geschlagen? Diese rauhe Stirn mit dem Ausdruck einer spröden Redlichkeit, auf der die Kraft dennoch die Spuren jener Güte zurückgelassen hatte, die die Mitgift aller wahren Stärke ist, diese runzelndurchzogene Stirn, stand sie in Harmonie mit einem großen Herzen? Warum lebte dieser Mensch zwischen den Granitfelsen? Eine ganze Welt von Gedanken stieg uns zu Kopf. Wie es unser Führer angenommen hatte, gingen wir schweigend vorbei, in Eile, und er sah uns von Schrecken ergriffen oder von Erstaunen erfüllt wieder, aber er berief sich uns gegenüber mit keinem Wort auf die Richtigkeit seiner Voraussage.
    »Sie haben ihn gesehen?« sagte er.
    »Wer ist dieser Mann?« sage ich.
    »Man nennt ihn den ›Mann des Gelübdes‹«
    Stellen Sie sich vor, mit welcher Bewegung sich bei diesem Worte unsere beiden Köpfe nach dem Fischer wandten! Er war ein einfacher Mann; er verstand unsere stumme Frage, und nun erzählte er uns in seiner Sprache, deren Volkstümlichkeit ich zu erhalten versuche.
    »Gnädige Frau, die Leute von le Croisic wie die von Batz glauben, daß dieser Mann irgendeine Schuld trägt und daß er eine Buße tut, die ihm von einem berühmten Pfarrer auferlegt ist, zu dem er beichten gegangen ist, noch weiter als bis Nantes. Andere glauben, daß Cambremer, so ist sein Name, ein Unglückspilz sei, und daß er jeden anstecke, der ihm in die Nähe kommt. Noch andere beobachten, bevor sie um seinen Felsen herumgehen, woher der Wind kommt! Wenn es Nordwestwind ist, würden sie ihren Weg nicht fortsetzen, und wenn es gälte, ein Stück des heiligen Kreuzes zu holen; sie kehren um, sie haben Furcht. Andere, die Reichen von le Croisic, sagen, daß Cambremer ein Gelübde getan hat, daher sein Name ›Mann des Gelübdes‹. Er ist dort Tag und Nacht, ohne jemals
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