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Ein Drama am Ufer des Meeres (German Edition)

Ein Drama am Ufer des Meeres (German Edition)

Titel: Ein Drama am Ufer des Meeres (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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fühlen angesichts dieses Elends?« »Nichts ist schmerzlicher, als unerfüllbare Wünsche zu haben«, antwortete ich ihr. »Diese beiden armen Wesen, der Vater und der Sohn, sie werden nicht mehr davon wissen, wie stark unser Mitgefühl für sie war, als die Welt weiß, wie schön ihr Leben ist, denn sie sammeln Schätze im Himmel.«
    »Armes Land!« sagte sie, indem sie auf ein Feld hinwies, das rings umgeben war von einer Mauer ausgedörrter Steine, von Kuhfladen, die symmetrisch aufgeschichtet waren. »Ich habe gefragt, was das wäre. Eine Bäuerin, die mit dem Aufschichten beschäftigt war, hat mir geantwortet, daß sie Holz mache. Stelle dir vor, mein Freund, daß, wenn diese Fladen getrocknet sein werden, die armen Leute sie sammeln, sie aufstapeln und damit einheizen. Im Winter verkauft man sie, wie man Lohkuchen verkauft. Was glaubst du wohl, wieviel die bestbezahlte Näherin verdient? Fünf Sous den Tag,« sagte sie nach einer Pause, »aber man gibt ihr zu essen.«
    »Sieh nur, sage ich zu ihr, »die Seewinde dörren oder vernichten alles; es ist nicht ein Baum da; die Trümmer der außer Dienst gesetzten Fahrzeuge werden an die Reichen verkauft, denn die Transportkosten hindern die Leute ohne Zweifel daran, das Holz als Feuerung zu benutzen, an der es gerade der Bretagne mangelt. Dieses Land offenbart seine Schönheit nur den großen Seelen, gefühllose Menschen können darin nicht leben; es kann nur bewohnt werden von Dichtern oder von Teichmuscheln. Hat nicht der Salzspeicher auf diesen Felsen gesetzt werden müssen, damit er bewohnt wurde? Auf der einen Seite das Meer, hier Sand, darüber der Äther.«
    Wir hatten die Stadt bereits hinter uns und befanden uns in einer Art Wüste, die le Croisic von Bourg de Batz trennt. Stellen Sie sich, mein teurer Onkel, eine Steppe von zwei Quadratmeilen vor, angefüllt von dem schimmernden Sand, der am Meeresufer zu finden ist. Hier und da erhoben einige Felsen ihre Häupter, und Sie hätten gemeint, gigantische Tiere vor sich zu haben, die sich in den Dünen lagerten. Längs des Meeres wurden einige Riffe sichtbar, um die das Wasser spielte, indem es ihnen das Aussehen großer weißer Rosen gab, die über der Wasserfläche dahinschweben und sich auf das Ufer setzen wollen. Beim Anblick dieser Savanne, die zur Rechten von dem Ozean begrenzt, zur Linken von dem großen See umsäumt wird, der sich aus dem Durchbruch des Meeres zwischen le Croisic und den sandigen Höhen von Guérande gebildet hat, an deren Fuße Salzteiche, entblößt von aller Vegetation, sich ausbreiten, bei diesem Anblick sah ich Pauline an und fragte sie, ob sie den Mut in sich fühle, der Sonnenhitze zu trotzen, und die Kraft, durch den Sand zu marschieren.
    »Ich habe Schnürstiefel an, vorwärts,« sagte sie zu mir, indem sie auf den Turm von Batz zeigte, der die Sicht mit seinem gewaltigen Bau versperrte, welcher sich dort gleich einer Pyramide erhob, aber einer spindelförmigen, zierlich geschnittenen Pyramide, einer so phantastischen Pyramide, daß sie der Vorstellung erlaubte, die bedeutendste Ruine einer großen asiatischen Stadt vor sich zu sehen. Wir machten einige Schritte, um uns auf ein Stück Felsen zu setzen, das noch im Schatten lag; aber es war elf Uhr vormittags, und dieser Schatten, der bei unsern Füßen aufhörte, schwand reißend.
    »Wie ist diese Stille schön,« sagte sie zu mir, »und welche Tiefe gewinnt sie durch das gleichmäßige Rauschen des Meeres an dieser Küste!«
    »Wenn du dein Augenmerk«, antwortete ich ihr, »auf die drei Unermeßlichkeiten richten willst, die uns umgeben, Wasser, Luft und Sand, und lauschst ausschließlich dem Klang, den Ebbe und Flut immer wieder hervorbringen, – du erträgst diese Sprache nicht, du glaubst einen Gedanken zu erfassen, der dich zu Boden drückt. Gestern, bei Sonnenuntergang, erlebte ich diese Sensation; sie hat mich niedergeschmettert.«
    »O ja! sprechen wir«, sagte sie nach einer langen Pause. »Schweigen ist unerträglich. Ich glaube den Ursprung der Harmonien zu erfassen, die uns umgeben«, begann sie wieder. »Diese Landschaft, die nur drei scharf abgegrenzte Farben hat: das strahlende Gelb des Sandes, das Blau des Himmels und das gleichmäßige Grün des Meeres, ist groß, aber nicht wild, ist unendlich, aber nicht öde; sie ist monoton, aber nicht ermüdend; sie hat nur drei Elemente und ist doch mannigfach.«
    »Nur die Frauen verstehen ihre Eindrücke so wiederzugeben,« erwiderte ich, »du würdest einen Dichter
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