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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall
Autoren: Agatha Christie
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gehen wir, und schauen wir uns mal das nötige Zubehör an.«
    Sie liefen ins Haus.
     
     

3
     
    Am Weihnachtsabend ging es geschäftig zu. Man hatte große Mengen von Stechpalmenzweigen und Mistelzweigen ins Haus gebracht. Der Weihnachtsbaum stand in der Ecke des Esszimmers. Jeder half beim Schmücken. Die Stechpalmenzweige wurden hinter die Gemälde gesteckt, und die Mistelzweige an den passenden Stellen in der Vorhalle aufgehängt.
    »Ich wusste gar nicht, dass man noch so albern sein kann«, murmelte Desmond verächtlich.
    »Wir haben es immer so gemacht«, verteidigte Sarah sich.
    »Was heißt das schon.«
    »Sei nicht so garstig, Desmond. Mir macht es Spaß.«
    »Sarah, meine Süße, das meinst du doch nicht im Ernst.«
    »Doch, vielleicht – vielleicht nicht ganz im Ernst, aber irgendwie ein bisschen schon.«
    »Wer will trotz des Schnees zur Mitternachtsmette gehen?«, fragte Mrs Lacey zwanzig Minuten vor zwölf.
    »Ich nicht«, antwortete Desmond. »Komm, Sarah!«
    Er legte seine Hand auf ihren Arm und führte sie in die Bibliothek zum Plattenspieler.
    »Alles hat seine Grenzen, Liebling«, sagte Desmond. »Mitternachtsmette!«
    »Du hast Recht. Ja, da hast du Recht.«
    Fast alle anderen machten sich zum Kirchgang fertig. Unter lautem Gelächter und mit viel Getrampel zogen sie sich die Mäntel an und verließen das Haus. Bridget, David und Diana gingen zu Fuß zur Kirche, die zehn Minuten entfernt lag. Es schneite. Ihr Lachen verklang in der Ferne.
    »Mitternachtsmette!«, schnaubte Oberst Lacey verächtlich. »Bin niemals in meiner Jugend zur Mitternachtsmette gegangen. Alles Mist! Pfaffenzeug! Entschuldigen Sie bitte, Monsieur Poirot.«
    Poirot winkte ab.
    »Das ist ganz in Ordnung. Auf mich brauchen Sie keine Rücksicht zu nehmen.«
    »Ich meine, die Frühmette ist genug für alle«, fuhr der Oberst fort. »Ein ordentlicher Gottesdienst am Weihnachtsmorgen und dann zurück zum Essen. Das ist das einzig Wahre, stimmt’s, Em?«
    »Ja, Liebling. Wir halten es so, aber der jungen Generation gefällt eben die Mitternachtsmette. Ich finde es schön, wenn sie hingehen.«
    »Sarah und dieser Bursche wollen nicht gehen.«
    »Mein Bester, ich glaube, da täuschst du dich. Sarah würde schon gehen, das weißt du ganz genau, aber sie traut sich nicht, es zuzugeben.«
    »Ihr könnt mich schlagen; ich verstehe trotzdem nicht, warum sie etwas auf die Meinung dieses Burschen gibt.«
    »Sie ist noch jung«, antwortete Mrs Lacey besänftigend.
    »Sie wollen schlafen gehen, Monsieur Poirot? Gute Nacht. Ich hoffe, Sie werden gut schlafen.«
    »Und Sie, Madame, gehen Sie noch nicht zu Bett?«
    »Noch nicht. Wissen Sie, ich muss noch die Weihnachtsstrümpfe füllen. Die Kinder sind zwar schon erwachsen, ihre Strümpfe wollen sie aber nicht missen.«
    »Sie geben sich wirklich viel Mühe, damit zu Weihnachten alle glücklich sind. Ich bewundere Sie.«
    Poirot küsste ihr höflich die Hand.
    »Hm«, brummte Oberst Lacey, als Poirot gegangen war. »Liebt galante Gesten. Immerhin – er verehrt dich.«
    Mrs Lacey schaute ihn kokett an. »Merkst du nicht, dass ich unter einem Mistelzweig stehe?«, fragte sie mit der scheuen Zurückhaltung eines neunzehnjährigen Mädchens.
     
    Hercule Poirot betrat sein Schlafzimmer. Es war groß und gut geheizt. Als er auf das große Himmelbett zuging, sah er auf dem Kissen einen Briefumschlag liegen. Er öffnete ihn und zog ein Stück Papier heraus. In krakeliger Schrift und Großbuchstaben stand darauf:
     
    ESSEN SIE NICHTS VON DEM PLUMPUDDING!
    JEMAND, DER ES GUT MIT IHNEN MEINT.
     
    Hercule Poirot starrte auf den Zettel. Er zog die Augenbrauen hoch. »Seltsam«, murmelte er, »damit habe ich nicht gerechnet.«
     
     

4
     
    Um zwei begann das Weihnachtsessen. Es war ein festliches Mahl. Riesige Holzscheite knisterten im großen Kamin. Alle sprachen gleichzeitig. Von der Austernsuppe blieb nichts übrig. Zwei riesige Truthähne wurden als Gerippe wieder abserviert. Und dann – der Höhepunkt des Festessens! Der wunderbar garnierte Weihnachtspudding wurde hereingetragen…
    Dem alten, achtzigjährigen Peverell zitterten Hände und Knie vor Altersschwäche, aber er erlaubte niemand anderem, den Pudding zu servieren. Das war sein Privileg! Mrs Lacey saß nervös mit ängstlich zusammengepressten Händen da.
    Der Weihnachtspudding ruhte wie ein großer Fußball in seiner ganzen Herrlichkeit auf einer Silberplatte. Ein kleiner Mistelzweig steckte, einer Siegesfahne gleich, oben in dem
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