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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall
Autoren: Agatha Christie
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sprach heute Vormittag mit einem meiner Freunde aus dem meteorologischen Institut. Er erzählte mir, dass wir Weihnachten wahrscheinlich Schnee haben werden.«
    Das hätte er nicht sagen sollen. Es schauderte Hercule Poirot noch heftiger als zuvor.
    »Schnee auf dem Land! Das wäre ja furchtbar. Und dann noch in einem großen, uralten Herrenhaus aus Stein.«
    »Das ist nicht schlimm. Es hat Zentralheizung. Man heizt mit Öl.«
    »Es gibt in Kings Lacey eine Zentralheizung?«, fragte Poirot.
    Jesmond nutzte die Gelegenheit. »Ja, bestimmt, es ist eine ausgezeichnete Warmwasserheizung. In jedem Schlafzimmer stehen Heizkörper. Ich versichere Ihnen, mein lieber Monsieur Poirot, Kings Lacey ist der Komfort schlechthin für den Winter. Es könnte sogar sein, dass es Ihnen zu warm wird.«
    »Das ist unwahrscheinlich.«
    Jesmond änderte das Thema. Erfahrung hatte ihn klug gemacht. In vertraulichem Ton fuhr er fort: »Sie können sicherlich verstehen, in welchem Dilemma wir uns befinden.«
    Hercule Poirot nickte. Es war tatsächlich kein leichtes Problem… Ein junger Thronanwärter war vor einigen Wochen nach London gekommen. Er war der einzige Sohn. Sein Vater regierte ein reiches, politisch wichtiges Land, in dem zur Zeit Unruhe und Unzufriedenheit herrschten. Obwohl die Untertanen dem Vater, der seine orientalischen Lebensgewohnheiten nicht ablegen konnte, die Treue hielten, hegten sie dem Sohn gegenüber ein gewisses Misstrauen. Die Dummheiten, die er beging, waren kennzeichnend für seine westliche Erziehung und erregten öffentliches Missfallen. Vor einiger Zeit hatte man seine Vermählung angekündigt. Er sollte eine Kusine heiraten. Sie war jung. Obwohl sie in Cambridge studiert hatte, vermied sie es, in ihrer Heimat westliche Einflüsse in ihrem Benehmen zu zeigen.
    Nachdem der Tag der Hochzeit bekannt gegeben worden war, reiste der junge Prinz nach England. Er nahm einige berühmte Juwelen seines Hauses mit, um sie von der Firma Cartier umarbeiten zu lassen. Die Edelsteine sollten eine geeignete, moderne Fassung erhalten. Unter diesen Steinen befand sich auch ein sehr berühmter Rubin, den man aus einer schwerfälligen, altmodischen Halskette gelöst hatte. Durch die Kunst der Juweliere sollte der Stein ein völlig neues Aussehen erhalten. Soweit war alles in Ordnung. Schwierigkeiten traten erst später auf…
    Dass sich ein reicher, fröhlicher, junger Mann ein paar amüsante Abenteuer leisten würde, hätte man sich denken können. Niemand hätte ihm das verübelt. Es wäre als natürlich und normal empfunden worden, wenn der Prinz mit einer Freundin die Bond Street entlanggebummelt wäre und ihr für die Freuden, die sie ihm gewährte, ein Smaragdarmband oder eine Brillantbrosche geschenkt hätte. Das entsprach den Cadillacs, die sein Vater jeweils seinen Geliebten schenkte.
    Der junge Prinz handelte aber viel unüberlegter. Er zeigte einer Dame, deren Interesse ihm schmeichelte, den Rubin in seiner neuen Fassung. Und der Prinz war so unklug, ihr die Bitte zu erfüllen, einen Abend lang das Schmuckstück tragen zu dürfen. Das Nachspiel war vorauszusehen und folgenschwer. Die Dame war während des Abendessens aufgestanden und hatte den Raum verlassen. Sie wollte sich angeblich nur die Nase pudern. Zeit war verstrichen, aber sie war nicht zurückgekommen. Sie hatte das Gebäude durch eine Hintertür verlassen. Seitdem war sie verschwunden – und mit ihr der Rubin.
    Auf keinen Fall durfte die Öffentlichkeit davon erfahren. Der Rubin war nicht nur ein kostbares Schmuckstück, sondern besaß zusätzlich großen historischen Wert. Außerdem verlangten die Umstände, die zum Verlust des Schmuckstückes geführt hatten, dass jedes unnötige Aufsehen vermieden wurde, damit die Affäre nicht politisch schwerwiegende Konsequenzen nach sich zog.
    Jesmond war nicht der Mann, der diese Tatsache kurz und bündig berichten konnte. Er packte sie in einen großen Wortschwall ein. Hercule Poirot wusste nicht, wer dieser Jesmond eigentlich war. Er erklärte auch nicht näher, ob er mit dem Innenministerium, dem Foreign Office oder irgendeinem Zweig des Staatssicherheitsdienstes in Verbindung stand. Er handelte im Interesse des Commonwealth… Kurzum – der Rubin musste gefunden werden!
    Und Monsieur Poirot sei der einzige Mann, der ihn wiederfinden könne, erklärte Jesmond höflich und entschieden.
    »Vielleicht«, gab Hercule Poirot zu, »doch die Tatsachen, die Sie mir nennen, sind nicht aufschlussreich. Mit Vermutungen
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