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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall
Autoren: Agatha Christie
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oder Verdächtigungen kann ich nichts anfangen.«
    »Ich bitte Sie, Monsieur Poirot, solche Umstände sind doch für Sie kein unüberwindliches Hindernis.«
    »Ich habe nicht immer Erfolg.«
    Diese Bescheidenheit war nur gespielt. Poirots Stimme verriet deutlich, dass die Annahme eines Auftrags für ihn auch den erfolgreichen Abschluss eines Falles bedeutete.
    »Seine Hoheit sind noch sehr jung«, sagte Jesmond. »Es wäre traurig, wenn eine einzige unüberlegte Tat in der Jugend deren ganze Zukunft zerstören würde.«
    Poirot betrachtete den deprimierten jungen Mann freundlich.
    »In der Jugend macht man manche Dummheit«, meinte er ermutigend. »Für einen x-beliebigen jungen Mann ist dies nicht so ausschlaggebend. Der gute Vater zahlt; ein Rechtsanwalt klärt das Missgeschick. Der junge Mann lernt aus seinen Erfahrungen, und alles führt schließlich zum Guten. Ihre Lage ist allerdings wesentlich anders. Der Termin Ihrer Vermählung steht fest…«
    »Das stimmt, das stimmt genau.« Zum ersten Mal redete der junge Mann. »Sie nimmt alles sehr, sehr ernst, müssen Sie wissen. Sie nimmt das Leben sehr ernst. Sie hat große Pläne in Cambridge gefasst. Das Erziehungswesen soll in unserem Land verbessert, Schulen sollen gebaut werden. Alles soll im Namen des Fortschritts und der Demokratie geschehen, müssen Sie wissen. Sie sagt, es soll nicht so wie zu Zeiten meines Vaters bleiben. Natürlich weiß sie, dass ich mich in London vergnüge, aber sie ahnt nichts von dieser skandalösen Geschichte. Ein Skandal – und es wäre alles aus. Der Rubin ist nämlich sehr, sehr berühmt. An ihm hängt eine lange Geschichte… viel Blutvergießen… viele Tote!«
    »Tote«, wiederholte Hercule Poirot nachdenklich. Er schaute Jesmond an. »Ich hoffe, es wird nicht dazu kommen.«
    »Nein, nein, durchaus nicht«, sagte Jesmond. Seine Stimme klang reichlich unnatürlich. »Davon kann keine Rede sein, natürlich nicht.«
    »Ganz sicher kann man nie sein«, antwortete Hercule Poirot. »Wer jetzt den Rubin auch immer besitzen mag – so kann es doch andere geben, die ihn haben möchten und vielleicht vor nichts zurückschrecken, mein Freund.«
    Jesmonds Stimme klang jetzt noch unnatürlicher als zuvor: »Ich glaube wirklich nicht, dass wir uns darüber Gedanken zu machen brauchen. Es führt ja zu nichts.«
    Hercule Poirot wurde plötzlich reserviert.
    »Ich«, sagte er, »ich mache es immer wie die Politiker. Ich versuche alle Möglichkeiten zu durchdenken.«
    Jesmond sah ihn zweifelnd an, riss sich auf einmal zusammen und fragte: »Darf ich annehmen, dass wir uns einig sind, Monsieur Poirot? Sie werden nach Kings Lacey kommen?«
    »Welche Gründe sollte ich dort für einen Aufenthalt angeben?«, fragte Poirot.
    Jesmond lächelte zuversichtlich.
    »Das ist meiner Meinung nach ein sehr einfaches Problem. Ich versichere Ihnen, man wird keinen Verdacht schöpfen. Die Laceys werden Ihnen gut gefallen. Es sind ganz reizende Menschen.«
    »Sie haben mich nicht belogen? Es gibt wirklich eine Ölzentralheizung?«
    »Ja, bestimmt«, antwortete Jesmond, und seine Stimme klang erleichtert. »Sie werden jeglichen Komfort finden.«
    »Tout confort moderne«, murmelte Poirot vor sich hin. »Eh bien, ich nehme den Auftrag an.«
     
     

2
     
    Der langgestreckte Salon in Kings Lacey war angenehm warm, die Temperatur betrug zwanzig Grad Celsius. Hercule Poirot saß an einem der großen Fenster und unterhielt sich mit Mrs Lacey. Sie war mit einer Handarbeit beschäftigt. Während sie nähte, sprach sie leise und nachdenklich. Poirot war von ihrer Stimme entzückt.
    »Ich hoffe, dass Sie sich über Weihnachten bei uns wohlfühlen, Monsieur Poirot. Sie werden hier meine Familie und einige Freunde kennen lernen: meine Enkelin, meinen Enkel und dessen Freund, Bridget – sie ist meine Großnichte – und Diana, eine Kusine von mir, ferner David Welwyn, einen alten Freund von uns. Es ist ein Familienfest. Aber Edwina Morecombe sagte mir, dass Sie sich gerade das wünschen: ein altmodisches Weihnachtsfest. Niemand könnte altmodischer sein als wir. Mein Mann lebt völlig in der Vergangenheit. Er wünscht, dass alles genauso bleibt wie früher, als er zwölf Jahre alt war und seine Ferien hier verbrachte.«
    Sie lächelte vor sich hin.
    »All die alten Dinge müssen da sein: der Weihnachtsbaum, die Strümpfe, die Austernsuppe und der Truthahn, pardon – zwei Truthähne, ein gekochter und ein gegrillter, und der Plumpudding mit dem Ring und dem
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