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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall
Autoren: Agatha Christie
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weil ihr bewusst wurde, dass sie Weihnachten aufrichtig herbeisehnte. Es war ein schönes Fest, aber sie schämte sich, es Desmond gegenüber einzugestehen. Mit diesem Schuldgefühl konnte sie das Fest und das Familienleben nicht genießen. Einen Augenblick lang wünschte sie, Desmond wäre jetzt nicht hier. Sie wünschte sich tatsächlich, dass Desmond niemals hergekommen wäre. Es war für sie schöner, Desmond in London zu sehen, nicht aber hier Zuhause.
     
    Inzwischen waren die Jungen und Bridget wieder vom See zurückgekehrt. Sie diskutierten noch ernsthaft über die Probleme, die das Schlittschuhlaufen mit sich brachte. Ab und zu hatte es geschneit.
    »Es wird die ganze Nacht schneien«, prophezeite Colin. »Ich wette, der Schnee wird bis zum Weihnachtsmorgen viele Zentimeter hoch liegen.«
    Das war eine erfreuliche Aussicht. »Wir bauen einen Schneemann«, schlug Michael vor.
    »Guter Gott«, antwortete Colin, »ich habe zum letzten Mal einen Schneemann gebaut, als ich vier Jahre alt war.«
    »Ich fürchte, das ist ziemlich schwierig«, meinte Bridget.
    »Wir könnten Monsieur Poirot kopieren«, schlug Colin vor. »Einen schwarzen Schnurrbart bekommt er. In der Frisierkommode ist einer.«
    »Weißt du, ich kann mir nicht vorstellen, dass Monsieur Poirot mal Detektiv gewesen ist. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass er sich verkleiden könnte«, sagte Michael nachdenklich.
    »Das stimmt«, pflichtete Bridget bei, »man kann sich nicht vorstellen, dass er mit einem Mikroskop herumläuft, Spuren sucht oder Fußabdrücke ausmisst.«
    »Ich habe eine Idee«, sagte Colin. »Wir können für ihn eine Schau abziehen.«
    »Was willst du damit sagen?«, fragte Bridget.
    »Wir inszenieren einen Mord für ihn.«
    »Das ist eine großartige Idee!«, rief Bridget aus. »Meinst du eine Leiche im Schnee oder so etwas Ähnliches?«
    »Ja. Er würde sich dann bei uns wie zuhause fühlen, oder?«
    Bridget kicherte.
    »Ich weiß nicht, ob ich es so weit treiben würde.«
    »Wenn es schneit«, sagte Colin, »haben wir einen idealen Rahmen für das Ganze. Eine Leiche und Fußspuren… Wir müssen uns alles sorgfältig überlegen. Wir müssen einen Dolch aus Großvaters Sammlung stehlen und ein bisschen Blut herbeischaffen.«
    Sie blieben stehen und begannen hitzig zu diskutieren. Sie bemerkten dabei gar nicht, dass es heftig zu schneien anfing.
    »Im alten Klassenzimmer liegt noch ein Farbkasten. Damit könnten wir Blut mischen; am besten mit Karmesinrot.«
    »Ich glaube, dass Karmesinrot zu hell ist«, meinte Bridget.
    »Die Farbe müsste dunkler sein.«
    »Wer will die Leiche sein?«, fragte Michael.
    »Ich bin die Leiche«, antwortete Bridget schnell.
    »Hör mal zu«, sagte Colin, »ich bin die Leiche.«
    »Nein, auf keinen Fall. Ich bin richtig dafür. Es muss ein Mädchen sein… Ein schönes Mädchen liegt leblos im Schnee!«
    »Ein schönes Mädchen! Ha-ha«, lachte Michael spöttisch.
    »Ich habe sogar schwarzes Haar.«
    »Was hat das damit zu tun?«
    »Nun ja, das sieht im Schnee besonders gut aus, und ich werde meinen roten Schlafanzug anziehen.«
    »Wenn du einen roten Schlafanzug anhast, kann man die Blutflecken nicht sehen«, widersprach Michael.
    »Aber der Anzug hat weiße Aufschläge, darauf könnte doch das Blut sein. Wäre das nicht großartig? Glaubst du wirklich, dass er darauf hereinfällt?«
    »Er fällt darauf herein, wenn wir es richtig machen«, antwortete Michael. »Deine Fußspuren werden im Schnee sein und die einer anderen Person. Die Spuren führen bis zur Leiche, dann zweigen sie ab – natürlich sind das die Spuren eines Mannes. Poirot wird die Spuren nicht verwischen wollen, deshalb wird er auch nicht merken, dass du gar nicht tot bist. Glaubt ihr das etwa nicht?« Abrupt unterbrach er sich. Ihm war plötzlich etwas eingefallen.
    Die anderen schauten ihn an. »Glaubt ihr, dass er sich darüber ärgern wird?«
    »Oh, das glaube ich nicht«, sagte Bridget unbekümmert und optimistisch. »Er wird es nicht falsch auffassen, bestimmt nicht. Wir haben es halt getan, um ihn zu unterhalten. Es ist für ihn eine Weihnachtsüberraschung.«
    »Ich meine aber, wir sollten uns nicht gerade den ersten Weihnachtstag aussuchen«, sagte Colin nachdenklich.
    »Dann machen wir es also am zweiten Weihnachtsfeiertag«, schlug Bridget vor.
    »Der Tag ist genau richtig«, stimmte Michael zu.
    »Dann haben wir auch mehr Zeit«, fuhr Bridget fort. »Schließlich müssen wir doch eine Menge vorbereiten. Kommt,
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