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Ein Clochard mit schlechten Karten

Ein Clochard mit schlechten Karten

Titel: Ein Clochard mit schlechten Karten
Autoren: Leo Malet
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Schwein darum, woher sie kam. Und ob Zorga-Tinéa oder Joséphine... In Wirklichkeit hieß sie
Marie Dubois, wie der Feldwebel, der sie als Tochter anerkannt hatte...
    Wenn sie einkaufen ging, in der
Rue du Commerce oder auf dem Boulevard de Grenelle ,
war sie ganz normal gekleidet. Aber wenn sie ihren Beruf ausübte, zum Beispiel
im Augenblick, trug sie eine Art Turban, der von einer Goldbrosche in Form
einer tanzenden Schlange zusammengehalten wurde. Ein paar schwarze Haarsträhnen
fielen ihr in die Stirn und machten dem Kriechtier Konkurrenz. Der Turban war
blütenweiß, ebenso wie der Stoff, der ihre Ohren bedeckte und in gefälligen
Falten auf ihre nackten Schultern fiel. Ein Hauch Ägypten. Die ansehnlichen
Schultern umhüllte sie, glaub ich, mit einem Spitzentuch, wenn sie Kundinnen
empfing. Wenn sie aber männliche Kunden hatte — auch das kam vor! — , ließ sie dieses Accessoire beiseite. Der glückliche
Hilfesuchende konnte sich dann in aller Ruhe in das großzügige Dekolleté
vertiefen. Das half immer und lenkte von den Sorgen ab. Ihr üppiger Busen
schien nach einer stützenden Hand zu schreien. Ihre eigenen Hände waren mit dicken
Ringen überladen. Die bunten Klunker hatten bestimmt eine große magische
Bedeutung. Jede ihrer Gesten wurde von lautem Blechgeklimper zahlreicher Armreifen begleitet.
    „Guten Tag, Jo“, sagte ich.
„Ich hab ein paar Fragen.“
    „Hm!“
    Die Unruhe war noch nicht aus
ihren Augen gewichen. Immer noch eine Art Verteidigungsstellung. Sie
profitierte von den schlechten Nerven der anderen. Ihre waren aber auch nicht
mehr die besten.
    „Ist der Kaffee bald fertig?“
erkundigte sie sich bei ihrem Dienstmädchen.
    „Ja, M’ame .
Muß nur noch eingeschüttet werden.“
    „Dann tun Sie’s und bringen Sie
die Tassen in mein Sprechzimmer. Und beruhigen Sie die beiden Ziegen im
Wartezimmer.“
    „Ja, M’ame .“
    Die Frau stellte die vollen
Tassen auf ein Tablett und brachte es wie das Allerheiligste ins
Hellseherzimmer. Joséphine und ich folgten ihr. Das Zimmer war ganz in Schwarz
gehalten, hier und da auf den zugezogenen Vorhängen Sternkreiszeichen.
Brennende Räucherstäbchen in einem Gefäß schwängerten die Atmosphäre. Eine
dicke Kugel mitten auf dem Tisch verbreitete milchiges Licht.
    „Setzen Sie sich, Burma“, sagte
Jo, als wir alleine waren. Ich setzte mich auf einen pseudoarabischen Hocker.
Jo knipste das Licht der Kugel aus und das einer gutbürgerlichen Deckenlampe
an.
    „Ich kann Sie ja nicht so behandeln
wie das blöde Volk, das sonst zu mir kommt“, erklärte sie.
    Jetzt setzte sie sich ebenfalls
und tauchte ihre dicken Lippen in den Kaffee.
    „Also“, sagte sie dann, „Sie
wollten was wissen? Was?“
    Ich stellte meine Tasse auf das
Tablett zurück.
    „Es geht um einen Burschen, den
ich vor zwei Monaten zu Ihnen geschickt habe. So um den 15. Oktober. Demessy hieß er, falls er seinen Namen genannt hat. Seine
Frau brauchte Ihre Hilfe. Demessy ist nämlich
Verfechter der Geburtenregelung, wenn Sie wissen, was ich damit meine.“
    „Ja, natürlich, Demessy . Aber bevor wir weiterreden... Sie wissen doch, daß
ich damit aufgehört habe, hm? Wurde zu gefährlich. Ich bin zweimal
hintereinander gewarnt worden. Also hab ich’s sausenlassen.“
    „Sie haben meinen Freund
sausenlassen?“
    „Nein. Bei ihm hab ich eine
Ausnahme gemacht, weil er von Ihnen kam. Er sollte seine Frau schicken, aber
ich hab sie nie zu Gesicht gekriegt. Vielleicht war’s ihm zu teuer. Scheiße,
dabei hab ich ihm einen Freundschaftspreis gemacht. Ihr Freund schwimmt nicht
im Geld... Hilfsarbeiter bei Citroën oder so.“
    „ Wieviel haben Sie verlangt?“
    „Zwanzigtausend. Ein
Freundschaftspreis, wie gesagt.“
    „Kurz und gut, alles war so
weit abgesprochen, aber Sie haben ihn nie wiedergesehen?“
    „Genau. Aber... warum wollen
Sie das wissen, mein Lieber?“
    „Ich wollte eigentlich nur
wissen, ob er tatsächlich bei Ihnen war. Er ist nämlich verschwunden.“
    Die Hellseherin fuhr hoch.
    „He! Moment mal!“ rief sie.
„Sie wollen mir doch wohl keinen Ärger machen, hm? Meinen Sie vielleicht, ich
hätte was damit zu tun?“
    „Regen Sie sich ab. Er ist ja
nicht direkt aus Ihrer Wohnung verschwunden. Und verschwunden ist vielleicht zuviel gesagt. Er war seit drei Tagen nicht mehr zu Hause,
das ist alles.“
    „Ach so!“ seufzte Jo
erleichtert. „Das gefällt mir schon viel besser. Ärger kann ich im Moment
nämlich nicht gebrauchen. Konnte ich nie
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