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Ein bretonisches Erbe

Ein bretonisches Erbe

Titel: Ein bretonisches Erbe
Autoren: Valerie Menton
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Eis zu essen, war ungemütlich um diese Uhrzeit und bei der gähnenden Leere die hier herrschte.
    Also ging sie zum Kaffeeautomaten und füllte einen Becher mit extra starker Mischung. Sie strafte Milch und Zucker, wovon sie sonst reichlich nahm, mit Missachtung und hockte sich nach dem Bezahlen an einen Tisch, der die Aussicht auf einen beleuchteten Spielplatz bot. Rutsche, Sandkasten, kleines Karussell. Wer sollte da jetzt wohl drauf spielen?
    „So alleine, schöne Frau“, sprach sie ein Typ von der Seite an. „In meinem Truck ist noch Platz.“ Platter ging es ja wohl nicht. Aber sie wollte keinen Stress und lehnte so höflich ab, wie es ihr gerade noch möglich war.
    „Ich muss weiter, ich werde erwartet.“
    Er nahm die Abfuhr mit Anstand.
    „Aha, na dann gute Fahrt.“
    Sie stand auf und dachte an die Urne. Sie war das Einzige, was auf sie wartete – sonst nichts. Und noch einmal ging ihr Michael durch den Sinn, der noch so viel vorhatte und den alle seine Bikerfreunde auf seiner letzten Fahrt begleitet hatten, zur Kirche und zum Friedhof.
    Sie hatten ihn Bruder genannt, ihren Bruder, und sie trauerten brüderlich um ihn und tranken sich in ihrem kollektiven Schmerz um ihn gemeinschaftlich unter den Tisch. Später klebten sie sein Foto an die Wand ihres Vereinsheims und malten mit Filzer ein großes schwarzes Kreuz drauf. Er war der Fünfte in drei Jahren. Nur einer mehr in der Standard-Bilanz.
    Yuna fröstelte, als die den Helm wieder aufsetzte, aber es gab kein Zurück. Noch hatte anscheinend niemand ihr Verschwinden und das Fehlen der Urne bemerkt, aber spätestens morgen würde alles auffliegen und dann musste sie in Frankreich sein. Am besten schon in der Bretagne.
    Man würde sie verfolgen, da war sie sich sicher, zumindest ihr Bruder und vermutlich auch ihre Mutter würden sofort ihre Spur aufnehmen und sich an ihre Fersen heften. So schwer war ihr Plan schließlich nicht zu durchschauen. Wer außer ihr sollte die Urne ihres Großvaters schon klauen und welches andere Ziel als die Bretagne sollte sie haben? Die Familie hatte ja lange genug darüber debattiert, um Opas Letzten Willen zu kennen und daraus die richtigen Schlüsse auf den Urnendieb zu ziehen.
    Nein, je größer ihr Vorsprung war, umso besser und umso sicherer konnte sie sein, die Mission „Opas Asche“ erfolgreich abzuschließen.

2
Eine überraschende Erbschaft

    Der Kaffee hatte ihre Lebensgeister etwas geweckt, aber nun begann es zu nieseln und die Autobahn verwandelte sich in eine Rutschbahn für Zweiräder. Die Reifen schienen nicht mehr die besten zu sein und nachdem Yuna zweimal in relativ harmlosen Kurven bedenklich ins Schleudern geraten war, weil das Heck ausbrach, reduzierte sie erzwungener Maßen das Tempo. Das Ärgerlichste war, dass es kälter wurde und sich dadurch auch im Inneren des Helms Feuchtigkeit auf dem Visier niederschlug und zunehmend die Sicht behinderte. Sie fuhr erneut raus. Diesmal an einer Tankstelle.
    Sie füllte Sprit ein, holte sich ein paar Putztücher und gönnte sich noch einen Kaffee im Stehen. Dann drückte sie wieder auf die Tube. Leider brachte die Putzerei gar nichts. Mit offenem Visier bei dem Sauwetter zu fahren, war ebenfalls unmöglich. Also beim nächsten Parkplatz wieder runter von der Autobahn. Ihr war ein alter Trick von früher eingefallen. Sie nahm den Helm ab, spuckte auf das Visier und rieb es von innen mit der Spucke ab. So, nach alter Bikererfahrung sollte das nun helfen.
    Sie stülpte den Helm wieder auf und schoss erneut vorwärts in die Nacht.
    Ihre Gedanken nahmen genau die umgekehrte Richtung. Sie trieben zurück zu dem Tag, als ihr Vater sie zu sich in die Kanzlei bestellt hatte. Ganz formell, um eine ernsthafte Angelegenheit mit ihr zu besprechen.
    Natürlich hatte Yuna sich gefragt, was sie wohl erwartete. Auf das, was er ihr dann eröffnet hatte, wäre sie aber nie im Leben gekommen.

    Die Kanzlei befand sich in der Beletage eines klassizistischen Gebäudes aus dem 19.Jahrhundert in bester Citylage. Yuna hatte auf dem gepolsterten Klientenstuhl vor dem mächtigen Schreibtisch ihres Vaters Platz genommen, der in der Nähe eines lichtdurchfluteten Erkers stand. Dunkle Regaleinbauten bis unter die hohe Decke und üppiger Stuck strahlten Gediegenheit aus. Yuna mochte die Kanzlei, obwohl sie selber hier niemals arbeiten könnte. Spätestens nach ein paar Wochen hätte man sie mausetot vor einem der Regale gefunden, erschlagen von der Flut der Gesetzestexte, die auch jetzt
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