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Ein bretonisches Erbe

Ein bretonisches Erbe

Titel: Ein bretonisches Erbe
Autoren: Valerie Menton
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Michael, aber dann erschien ihr der Preis dafür plötzlich zu hoch und sie wurde gestoppt von der Erkenntnis, dass ein Rausch, egal welcher Art, ein hochriskanter Seelenzustand ist, der einen nicht nur immer weiter von der Realität, sondern letztlich auch von sich selbst entfremdet…

    Je später es wurde desto eintöniger verlief die Fahrt. Die Verkehrsdichte nahm rapide ab und immer weniger Lastwagen waren zu überholen. Die meisten Fahrer hatten nun wohl ihr Tageslimit erreicht und mussten die per Gesetz verordnete Ruhepause auf einem Parkplatz oder an einer Raststätte einlegen. Auch Yuna, merkte, wie langsam Müdigkeit in ihr hochkroch und sie zunehmend lähmte.
    Ich muss eine Pause machen, dachte sie, sonst fallen mir noch die Augen zu und ich kann meine eigene Asche gleich mit beerdigen. Ein Sturz mit dem Motorrad aus voller Fahrt konnte nur tödlich enden. Deswegen hatte sie auch auf ein weniger spektakuläres, dafür aber risikoärmeres Verkehrsmittel umgesattelt. Der menschliche Körper bot einfach zu wenig Prallfläche und zu geringe Knautschzonen, um im Ernstfall zu überleben.
    Sie schob den Gedanken an Michael beiseite. Nein, daran wollte sie jetzt nicht denken. Nicht an ihn und nicht an jene Nacht, als man ihr die Nachricht brachte… Als sie sich geschworen hatte, nie wieder ein Motorrad zu besteigen…
    Es war bereits vorbei gewesen, das mit ihnen. Das war nie so tief gegangen, dass sie sich vor Verzweiflung über seinen Tod umgebracht hätte, aber doch tief genug, um Bitterkeit in ihr zurückzulassen, als er so unerwartet ging, und ein ehrliches Bedauern darüber, dass nun nichts mehr rückgängig zu machen war. Weil er nicht mehr wiederkommen würde. Niemals mehr.
    Damals hatte sie nicht nur mit dem Motorradfahren aufgehört, sondern sich auch vorgenommen, von keinem Menschen mehr ohne einen anständigen Abschied wegzugehen. Wie schnell konnte eine solche Geste als einziges bleiben und wie wichtig war es dann, dass diese Erinnerung eine Gute war.
    Rasch tritt er Tod den Menschen an , lautet eine fundamentale Erkenntnis aus der Barockzeit, als Pest und Cholera ganz Europa mit ihrem tödlichen Atem der Verwesung überzogen. Sie führte bei den Menschen damals sowohl zu einer extremen Diesseits- als auch Jenseitsorientierung. Je nach Charakter, Temperament und Glauben. Aber sowohl die Asketen als auch die Genießer wussten, dass der Sensenmann jederzeit zuschlagen konnte, wahllos, planlos und niemals gerecht.
    Die Bretonen bauten Kirchen und richteten aus Stein gemeißelte Kalvarienberge auf, um ihn zu besänftigen. Im Rahmen ihres Kunststudiums hatte Yuna darüber referiert und dabei die Ungerechtigkeit des Todes damit erklärt, dass er keine Kreatur der Schöpfung war, nichts jedenfalls, was den Atem des Lebens in sich trug und ein Herz und einen Sinn für Regeln, Ordnung und Gerechtigkeit hatte. Vielmehr erschien er ihr wie gestaltgewordene Chaostheorie, wie ein Automat des Grauens, der seine Arbeit in perfider Gefühllosigkeit und ohne jeden Skrupel verrichtete und dabei zu seinem eigenen Selbstzweck wurde. Der Tod existierte nur durch das Töten.
    Yuna erschrak vor ihren nachtschwarzen Gedanken und lenkte die Maschine an der nächsten Raststätte raus. Ich brauche sofort Kaffee, dachte sie, und zwar viel davon.
    Sie sperrte das Motorrad ab, nahm den Helm ab und schüttelte mit den Haaren auch das wirre Zeug aus ihrem Kopf. Dann ging sie erst einmal zur Toilette.
    Sie steckte irgendwo in Rheinlandpfalz im leicht kurvigen Hügelland eines Weinbaugebietes. Hatte also schon ein gutes Viertel der Strecke geschafft. Ihre alte Motorradkluft klebte an ihr wie eine zweite Haut und wurde allmählich unbequem. Als sie sich auf der Toilette aus- und wieder angezogen hatte, musste sie zugeben, dass sie in letzter Zeit fülliger geworden war. Da gab es Speck auf den Hüften und Volumen am Busen, alles vorher nicht da gewesen und nichts, was sie erheiterte.
    Ich habe mir doch nicht etwa Kummerspeck angefressen?, fragte sie sich, als sie mühsam den Reißverschluss hochzog und die Druckknöpfe am Bund der Lederhose schloss.
    Natürlich hatte sie das, keine Frage. Jeden Abend ein bis zwei Tafeln Schokolade hinterließen eben Spuren. Sie warf einen Blick auf den Sanifair-Gutschein und drehte ihn unschlüssig in den Händen. Normalerweise hätte sie etwas draufgezahlt und ein Eis mit Karamell und Nüssen dafür gekauft. Im Auto. Auf dem Motorrad hatte man für so etwas keine Hand frei und in der Raststätte ein
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