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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe
Autoren: Emile Zola
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Schwanenfittichen. Mit diesen kleinen Gestalten schien die
ganze Keuschheit des Frühlings gekommen. Jetzt standen sie schon im
Kreise rings um den Rasenplatz, leicht bebend einem Flaum gleich, der in der freien Luft sich leise
bläht …
    Und als so der Garten sich über und über in Weiß verwandelt
hatte, überkam Helene eine Erinnerung. Sie gedachte des Balles in
jener schönen Saison mit den vielen vergnügt hüpfenden und
tanzenden Kinderfüßen … Sie sah wieder Marguerite als
Milchmädchen verkleidet mit ihrem Milchkännchen; sah Sophie als
Kammerzofe am Arm ihrer kleinen Schwester Blanche, an deren
Narrenkostüm ein lustiger Glöckchenreigen geklingelt hatte. Dann
kamen die fünf Fräulein Levasseur als Rotkäppchen in Lothringer
Hauben mit schwarzsamtnen Bändern, und die kleine Guiraud tanzte
übermütig als Elsässerin mit einem doppelt so großen Harlekin.
Heute trugen die Kinder alle Weiß. Auch Jeanne war weiß, auf dem
weißen Atlaskissen inmitten weißer Blumen …
    »Wie groß sie alle geworden sind,« flüsterte Helene unter
Tränen.
    Alle waren sie wieder da … nur ihr eigenes Kind fehlte.
Damen kamen vorbei und grüßten sie ehrerbietig … Die Kinder
schauten nach ihr mit großen verwunderten Augen.
    Pauline ging geschäftig umher und gab mit gedämpfter Stimme ihre
Weisungen. Nur zuweilen vergaß sie auf Augenblicke den Ernst der
Stunde.
    »Aber ich bitte euch! Seid doch artig … Sieh mal her, du
kleines Schaf, du bist ja schon schmutzig … «
    Der Leichenwagen fuhr vor, und der Zug konnte sich in Bewegung
setzen.
    Frau Deberle erschien aufgeregt und rief:
    »Die Sträuße sind ja vergessen … Rasch, Pauline, die
Sträuße!«
    Es entstand einige Unruhe. Man hatte für
jedes der kleinen Mädchen einen weißen Rosenstrauß bereit, die nun
verteilt werden mußten… Die erfreuten Kinder hielten die dicken
Büschel steif vor sich wie Kerzen. Lucien, der keinen Schritt von
Marguerite wich, sog den Duft aus dem Strauße und hielt ihn auch
seiner Begleiterin hin. All diese Rangen lachten mit ihren
Rosensträußen im Sonnenlicht und wurden dann plötzlich still, als
der Sarg von schwarzgekleideten Männern auf den Wagen gehoben
wurde.
    »Ist sie da drin?« fragte Sophie leise.
    Ihre Schwester Blanche nickte und sagte nachdenklich: »Für tote
Männer ist das Ding sooo groß… «
    Sie meinte den Sarg und breitete die, Arme, soweit sie konnte.
Die kleine Marguerite lachte und steckte die Nase in ihre Rosen…
und dann berichtete sie, wie angenehm das Kitzeln beim Riechen sei.
Da versenkten auch die andern ihre Nasen in die Sträuße, um zu
sehen, wie es tue, bis man sie zur Ordnung rief.
    Der Leichenzug hatte sich in Bewegung gesetzt. An der Ecke der
Rue Vineuse stand eine Frau, die bloßen Füße in Holzschuhen, und
wischte sich mit dem Schürzenzipfel die Tränen von den Backen. Ein
paar Leute lagen in den Fenstern, und man hörte Worte des Mitleids
in der totenstillen Straße. Geräuschlos rollte der
schwarzverhangene Leichenwagen dahin. Man hörte nur den taktmäßigen
Hufschlag der Schimmel auf dem gewalzten Kies der Straße… Es schien
eine ganze Ernte von Blumen, Sträußen und Kronen, die dieser Wagen
davonführt. Der Sarg war gänzlich unter ihnen verschwunden, und
leichte Stöße erschütterten die aufgehäuften Garben. An den vier
Ecken des Wagens flatterten lange weiße Atlasbänder, von vier kleinen Mädchen gehalten. Es waren Sophie
und Marguerite, das eine der Levasseur-Mädchen und die kleine
Guiraud, die so ängstlich trippelte, daß die Mutter neben ihr her
gehen mußte. Die andern umringten in geschlossener Schar den
Leichenwagen. Leise und vorsichtig traten sie auf, und die
Wagenräder drehten sich in diesem weißen Musselin wie von einer
Wolke getragen, aus der zarte Engelsköpfchen lächelten. Herr
Rambaud schritt mit blassem Gesicht in gebeugter Haltung dahin. Es
folgten die Damen mit ein paar kleinen Jungen, sodann Rosalie und
Zephyrin und als letzte die Dienstboten des Hauses Deberle. Fünf
leere Trauerwagen folgten. Über der sonnenhellen Straße flatterte
bei der Vorbeifahrt dieses Frühlings ein weißer Taubenschwarm.
    »Mein Gott, wie peinlich! Wenn doch Henri diese Konsultation
verschoben hätte! Ich hatte ihn doch so gebeten … «
    Frau Deberle wußte nicht, womit sie Helene, die teilnahmslos in
einem Sessel des Pavillons saß, unterhalten sollte. Henri hätte sie
wenigstens trösten können. Die Situation war wirklich sehr
unangenehm. Zum Glück
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