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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe
Autoren: Emile Zola
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blieb auf den Knien und preßte ihr
Gesicht auf die herabgeglittene Hand der Toten.
    Herr Rambaud weinte. Der Priester betete mit lauter Stimme,
während Rosalie in der halboffenen Tür ihr Taschentuch zerbiß, um
nicht laut aufzuweinen.
    In diesem Augenblick klingelte der Doktor Deberle. Es war ihm
nicht anders möglich gewesen, sich nach der Kranken zu
erkundigen.
    »Wie steht es?« fragte er leise.
    »Ach, Herr Doktor,« schluchzte Rosalie. »Sie ist tot.«
    »Ach Gott, das arme Kind, welch ein Unglück!«
    Er fand nichts, als diesen öden Gemeinplatz, der doch so vieles
in sich barg. Die Tür hatte sich wieder geschlossen. Er ging
hinunter.

Kapitel 19
     
    Als Frau Deberle Jeannes Tod erfuhr, weinte sie auf und hatte
einen Nervenzusammenbruch. Es war eine lärmende Verzweiflung, die
jedes Maß überschritt, Sie kam zu Helene und stürzte sich in ihre
Arme. Auf ein hingeworfenes Wort hin faßte sie den Plan, der
kleinen Toten ein ergreifendes Begräbnis auszurichten, und dieser
Gedanke nahm sie sogleich bis in die kleinsten Einzelheiten in
Anspruch. Helene blieb in Tränen aufgelöst, zerschlagen und
gänzlich willenlos auf ihrem Stuhle sitzen. Herr Rambaud verlor den
Kopf und willigte gern in Frau Deberles Anordnungen. Nur einmal
schreckte Helene aus ihrer Versunkenheit auf, um zu sagen, daß sie
Blumen wünsche, viele Blumen …
    Sogleich machte sich Frau Deberle daran, zu ihrer gesamten
Bekanntschaft zu laufen und die schreckliche Neuigkeit zu
verbreiten. Juliette dachte an einen Trauerzug kleiner Mädchen in
weißen Kleidern, sie brauchte wenigstens dreißig und verwendete den
ganzen Tag darauf, sie zusammenzuholen. Sie hatte sogar in der
Beerdigungsanstalt vorgesprochen und die Behänge ausgewählt. Man
würde die Gartengitter mit schwarzem Flor verkleiden und die
Leiche, begraben unter einem Berg von Lilien, zur Schau
stellen.
    »Wenn es doch nur morgen schönes Wetter sein würde,«
entschlüpfte es ihr eines Abends, als sie ihre Gänge und Laufereien
besorgt hatte.
    Es wurde ein strahlender Morgen. Ein blauer
Himmel wölbte sich, und rein und belebend wehte ein, linder
Frühlingswind. Das Begräbnis war auf zehn Uhr festgesetzt. Um neun
Uhr wurde die Trauerdraperie aufgestellt, und Juliette kam den
Arbeitern mit guten Ratschlägen zu Hilfe. Die weißen Behänge mit
silbernen Fransen öffneten einen Gang zwischen beiden Gittertüren,
die mit Lilien besteckt waren. Dann lief Frau Deberle geschwind in
den Salon zurück, die Damen zu begrüßen. Der größeren
Räumlichkeiten wegen sammelte sich das Trauergeleit im Doktorhause.
Nur eines war ein wenig peinlich: ihr Gatte hatte schon am frühen
Morgen nach Versailles fahren müssen, wie er sagte, zu einer
Konsultation, die sich nicht aufschieben ließ.
    Frau Berthier fand sich mit ihren beiden Töchtern als erste
ein.
    »Es ist kaum zu glauben, meine Liebe! Henri läßt mich im Stich…
Aber Lucien! Willst du denn die Damen nicht begrüßen?«
    Lucien schien sich mit seinen schwarzen Handschuhen über Sophie
und Blanche zu wundern, die in Prozessionskleidern vor ihm standen.
Ein seidenes Band umschloß ihre Musselinkleider, und ein bis zum
Boden wallender Schleier verdeckte das Häubchen aus Tüllstickerei.
Während die Mütter plauderten, musterten die drei Kinder einander.
Endlich sagte Lucien: »Jeanne ist tot.«
    Das Herz war ihm schwer, und er lächelte verwundert. Seit er
wußte, daß Jeanne tot war, war er nicht mehr der wilde Junge. Er
hatte die Dienerschaft ausgefragt, weil die eigene Mutter zu sehr
in Anspruch genommen war. Also wenn man tot war, rührte man sich
nicht mehr?
    »Sie ist tot, sie ist tot,« echoten die beiden
Schwestern mit ihren rosigen Gesichtern.
»Ob wir sie noch einmal sehen werden?«
    Lucien überlegte zerstreut mit offenem Munde und sagte dann
bestimmt:
    »Wir werden sie nicht mehr sehen.«
    Unterdessen hatten sich andere weißgekleidete Mädchen
eingefunden, und Lucien ging ihnen auf einen Wink der Mutter
entgegen. Marguerite Tissot glich mit ihren großen Augen und dem
weißen Musselinkleid einem jungfräulichen Kinde. Ihre blonden Haare
schlüpften aus dem kleinen Häubchen und lagen wie ein
goldgesticktes Mäntelchen unter dem Weiß des Schleiers. Ein
heimliches Lächeln machte bei den Anwesenden die Runde, als sich
die fünf Fräulein Levasseur zeigten. Alle waren gleich gekleidet.
Die Älteste ging voran und die Jüngste bildete den Schluß wie beim
Ausflug eines Mädchenpensionates, und ihre weiten bauschigen
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