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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe
Autoren: Emile Zola
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Röcke
nahmen eine ganze Ecke des Raumes allein in Anspruch. Als die
kleine Guiraud kam, erhob sich ein Flüstern. Man ließ sie Revue
passieren, man lachte und küßte sie. Sie glich einem weißen, ein
wenig zerzausten Turteltäubchen, war nicht größer als ein Vogel und
erschien im Gewirr der zitternden Gaze unmäßig dick und kugelrund,
so daß sogar die eigene Mutter die Händchen der Kleinen nicht mehr
wiederfinden konnte. Der Salon glich einer stäubenden Schneewolke.
Nur das Schwarz der Anzüge einiger Jungen durchsetzte das
flimmernde Weiß. Da Luciens kleine Dame tot war, suchte er nach
einer andern. Er zögerte lange und hätte gern eine Dame geführt,
die größer als er, ähnlich Jeanne, war. Jetzt schien er sich doch
für Marguerite entschieden zu haben, deren Haar er bewunderte, und
wich nicht mehr von ihrer Seite.
    »Der Sarg ist noch nicht heruntergetragen,«
sagte Pauline zu ihrer Schwester. Pauline war so quicklebendig und
aufgeregt, als handle es sich um die Vorbereitungen zu einem Ball.
Juliette hatte alle Mühe gehabt, die Schwester davon abzubringen,
ebenfalls in Weiß zu erscheinen.
    »Wie!« rief Juliette empört. »Woran denken denn diese Leute? Ich
will rasch selbst hinaufgehen. Du bleibst hier bei den Damen!«
    Im Salon unterhielten sich die Mütter in dunklen Toiletten mit
halblauter Stimme, während die Kinder reglos herumstanden in Sorge,
ihre Kleider zu zerknittern. Als Juliette in das Leichenzimmer
trat, traf es sie wie ein eisiger Hauch. Jeanne lag noch mit
gefalteten Händen auf dem Bett in einem weißen Kleide mit weißer
Haube und weißen Schuhen. Eine Krone aus weißen Rosen machte sie
zur Königin ihrer kleinen Freundinnen, der von der dort unten
harrenden Menge gehuldigt wurde. Vor dem Fenster stand auf zwei
Stühlen der mit Seide ausgeschlagene Eichensarg, geöffnet gleich
einem Juwelenschrein. Nur eine Kerze brannte. Der verdunkelte Raum
hatte den feuchten Duft und den feuchten Frieden eines seit langer
Zeit vermauerten Kellers. Juliette, die eben aus der Sonne und dem
lachenden Leben dort draußen nun plötzlich hier stand, blieb stumm
stehen und hatte gänzlich vergessen, weshalb sie gekommen war.
    »Es sind schon sehr viele Leute da,« flüsterte sie endlich, und
als niemand antwortete, redete sie bloß, um zu sprechen,
weiter:
    »Henri hat zu einer Konsultation nach Versailles fahren müssen.
Wollen Sie das bitte entschuldigen… «
    Helene saß am Totenbett und hob die rotgeränderten Lider. Seit
sechsunddreißig Stunden weilte sie hier trotz der flehentlichen Bitten des Herrn Rambaud und des
Abbé Jouve, die mit ihr die Totenwache hielten. Die beiden Nächte
hatte sie sich in endlosem Kampfe gequält. Dann war der
schreckliche Schmerz des Einkleidens der Toten gekommen. Die
weißseidenen Schuhe hatte sie noch selbst dem toten Kinde über die
Füßchen gestreift. Jetzt war sie am Ende ihrer Kraft, im Übermaß
ihres Kummers dämmerte sie dahin.
    »Sie haben doch Blumen?« lallte sie mühsam, die Augen noch immer
auf Frau Deberle gerichtet.
    »Aber ja, gewiß, meine Liebe!« beruhigte Juliette. »Machen Sie
sich nur keine Sorge… «
    Ja, seit ihr Kind den letzten Seufzer getan, hatte Helene nur
noch die eine Sorge: Blumen, Blumen, Blumen… Wenn jemand eintrat,
sah sie unruhig auf, ob er auch Blumen mitgebracht habe.
    »Haben Sie Rosen?« stammelte sie wieder.
    »Freilich, freilich… Sie werden zufrieden sein, meine
Liebe.«
    Helene nickte befriedigt und versank wieder in ihr starres
Brüten. Die Leichenträger warteten noch immer auf dem Flur, und es
mußte ein Ende gemacht werden. Herr Rambaud, selbst gänzlich
verstört, gab Frau Deberle einen Wink, ihm behilflich zu sein und
die Bedauernswerte wegzuführen. So nahmen beide Helene sanft
tröstend unter die Arme, stützten sie und führten sie ins Eßzimmer,
Plötzlich wehrte sich Helene und suchte sich verzweifelt
loszumachen. Sie ließ sich vor dem Bett zu Boden fallen und
klammerte sich an die Leintücher, während Jeanne in all der
lärmenden Unruhe im ewigen Schweigen verharrte. Das Gesicht der
Toten zeigte einen finsteren, abweisenden Zug, der Mund war zu
einem rachsüchtigen Schmollen verzogen,
und dieses finstere, gnadenlose Totenantlitz war es, das Helene
außer Fassung brachte. Sie hatte es recht gut beobachtet in diesen
sechsunddreißig Stunden. Diese grollende Maske schien nur noch
grimmiger und zorniger zu werden, je mehr sie der Auflösung
entgegenging. Wenn ihre Jeanne nur noch ein letztes Mal
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