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Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan

Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan

Titel: Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
Autoren: Kurt Krömer
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kennenzulernen. Als Amerikaner wäre es schlechter.
    Ich frage, inwiefern das schlechter wäre, aber ich bekomme keine Antwort.
    Ein Junge mit einem Holzkarren, der mit Nüssen voll beladen ist, kreuzt unseren Weg. Wir fragen ihn, ob er damit einverstanden sei, wenn wir ihn filmen würden. Er ist einverstanden. Die Polizisten auf der anderen Straßenseite allerdings nicht. Zwei Gesten von Bahram reichen, um die Polizisten zu beruhigen. Wir dürfen weitermachen. Ich kaufe noch ein Kilo Nüsse. Bezahlen darf ich nicht. Das macht Bahram. Mit meiner Tüte voller Nüsse mache ich einen Spaziergang über die angrenzende Brücke. Wir werden zwar noch angeschaut, aber nicht mehr so skeptisch wie beim Aussteigen.

    Bevor wir unseren Rundgang über den Markt weiterführen können, bekommen wir noch kurz ein paar Regeln von unserem Sicherheitschef mit auf den Weg: Wir können uns ganz normal bewegen. Wir können ganz normal filmen. Sobald wir jedoch bemerken, dass jemand nicht gefilmt werden möchte, sollen wir den Dreh sofort abbrechen. Und wir sollen auf keinen Fall Englisch sprechen. Wenn überhaupt, dann Deutsch. Wir haben zwei Sicherheitsleute, die ständig um uns herum sind. Bei der geringsten Gefahr würden sie den Kreis um uns zuziehen, und wir sollen uns dann an unserem Sicherheitschef orientieren und Richtung Autos laufen. Bahram allerdings winkt ab. Das wird hier eher ein Spaß, ist seine Meinung. Angst wegdrücken und Kabul genießen, das ist die Devise.
    Wir gehen weiter. Kurz darauf biegen wir in eine kleine Gasse ab. Hier pulsiert das Leben noch mal anders als eben auf dem großen Markt. Man sieht viele Handwerker, die alle ihrer Arbeit in kleinen überdachten Verschlägen nachgehen. Ich erblicke einen Schmied und gehe auf ihn zu. Je näher ich ihm komme, desto skeptischer beobachtet er mich. Bahram sagt ihm irgendwas auf Persisch. Mit einer Geste teilt der Schmied mir plötzlich mit, dass ich mich zu ihm setzen soll.
    Bahram erzählt mir, dass er dem Mann gesagt hat, dieser Freund hier interessiert sich für deinen ehrbaren Beruf. Darf er dir zuschauen?
    Ich verstehe jetzt, warum Bahram immer sofort mit allen Leuten leicht in Kontakt treten kann. Ob es nun der kleine Junge ist, der uns auf dem Berg Tee verkauft hat, ob es ein hochrangiger Staatsmann ist wie Sibghatullah Modschaddedi oder eben jetzt der Schmied. Er erweist allen Leuten, denen er begegnet, gebührenden Respekt.
    Ich kann mich jetzt noch besser in die Situation der Afghanen versetzen. Wie es sein muss, wenn in das Land, in dem man lebt, Hunderttausende von Soldaten einmarschieren, die den Bürgern nichts über ihr Vorhaben und ihre Absichten erzählen. Wie würde ich wohl reagieren, wenn ich dreißig Jahre in so einem Zustand leben müsste? Ich kann es mir nicht vorstellen.
    Mit meinen Fragen und meinen Erkenntnissen gehe ich weiter die Gasse entlang. Mit einem Mal überkommt mich ein sehr gutes Gefühl. Ich habe es wirklich getan. Ich bin hier und laufe gerade durch den zivilen Teil von Kabul. Hier leben die Menschen nicht nur in Bunkern und laufen wegen der Anschläge ständig geduckt herum, sondern es findet das statt, was ich zu sehen gehofft hatte: normales Leben. In meiner afghanischen Kleidung bin ich von den anderen kaum mehr zu unterscheiden. Es ist, als gehörte ich dazu. Ich könnte weinen. Denn allein für diesen Augenblick hat sich die ganze Reise gelohnt.

Die Heimreise
    Ich habe mich im Gegensatz zu meinem letzten Aufenthalt in Kabul dazu entschieden, nicht direkt nach Hause zu fliegen, sondern in Istanbul, wo man eh umsteigen muss, einen Zwischenstopp zu machen und dort zusammen mit Tankred ein paar Tage zu verbringen, um das Erfahrene fernab von zu Hause in Ruhe sacken zu lassen.
    Als wir, nach fünfmaliger Passkontrolle und dem Entrichten von vierhundert Dollar für La Fees Übergepäck, endlich im Flieger nach Istanbul sitzen, ist mein Kopf komplett leer. Völlig emotionslos sitze ich da und schaue mich im Flieger um. Schräg gegenüber am Gang sitzt Tankred. Er trägt seine Sonnenbrille, die mit den schwarz gefärbten Gläsern. Im Innenraum scheint nicht gerade viel Sonne, vor der es sich lohnen würde, einen Schutz zu tragen. Irgendwoanders auf der Welt hätte ich ihm jetzt dafür sicherlich einen blöden Spruch reingedrückt. Nicht heute. Ich sehe, dass er weint.
    Warum weine ich nicht? Bin ich gefühlskalt? Gehen dem feinen Herrn Krömer die gesammelten Erfahrungen der Reise nicht nahe genug? Nein, mit dir ist schon alles in
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