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Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan

Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan

Titel: Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
Autoren: Kurt Krömer
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Flughafengebäude. Mit unserem Gepäck begeben wir uns Richtung Ausgang. Eine Flughafenangestellte kommt auf mich zu. Autogramme habe ich nicht dabei, denke ich mir, aber wir können ja ein Foto machen. Mit guter Laune gehe ich auf sie zu, mit sehr schlechter Laune erklärt sie: Zoll, wir würden gerne mal Ihr Gepäck kontrollieren. Wir legen unsere Rucksäcke und die Tüten mit den Zigarettenstangen aus dem Duty-free-Shop in Istanbul auf das Fließband zum Röntgen.
    Mit Blick auf Tankreds und meinen Rucksack, der nun durchleuchtet vor uns liegt, fragt uns die Beamtin: Haben Sie da noch mehr Zigaretten drin?
    Nei… ja, sage ich.
    Bitte?
    Mir fällt die Stange Seven Stars Light ein, die uns Bahram vor dem Abflug in Kabul noch geschenkt hat.
    Also ja oder nein?
    Verdammte Scheiße, ja! Ham wa. Jeweils eine Stange plus, platzt es aus mir raus.
    Müssten Sie nachzahlen, sagt uns Frau Raffzahn, die bestimmt mit Frau Schlau-Schlau von eben über ein paar Ecken verwand ist.
    Da ich aus meiner Stange aus Istanbul schlauerweise gerade eben eine Schachtel entnommen habe, gilt diese nun nicht mehr als vollwertig. Weil ich also als fleißige Ameise für den Winter vorgesorgt habe und Tankred nicht, ergibt sich folgende Rechnung: ich muss achtundsechzigvierzig nachzahlen und Tankred die vollen sechsundsiebzig Euro. Ich habe also eine Stange (wobei ich verdränge, dass sie mir eigentlich geschenkt worden ist, um meinen Schmerz zu verringern) achttausend Kilometer und die zweite Stange circa dreitausend Kilometer gen Deutschland geschleppt, um nun nach der ganzen Strapaze hier mit einem Plus gegenüber Tankred von sieben Euro sechzig aufzuschlagen. Mit dieser Aktion und diesem mordsmäßigen Schnäppchen bin ich jetzt wohl endgültig König im Land derer, die sich morgens die Unterhose über den Kopf anziehen. Ich finde das alles höchst amüsant, wie bekifft reiche ich ihr meine EC-Karte und bezahle brav meine Steuern nach. Bei Tankred sieht die Stimmung anders aus. Seine Humor-Ressourcen sind, wie es scheint, restlos aufgebraucht, und Nachschub ist noch lange nicht in Sicht. Er steht, glaube ich, kurz davor, der Beamtin die Stange Zigaretten mit voller Wucht auf den Kopf zu schlagen und sie anschließend durch das Röntgengerät zu ziehen, um zu sehen, was der Schlag für Veränderungen verursacht hat. Vielleicht hängt die Humorlosigkeit auch mit der Tatsache zusammen, dass Tankred, der eigentlich aus dem Norden kommt, nun gleich in seine neue Wahlheimat nach Köln muss, wo jetzt gerade der Karneval in vollem Gange ist. Als wir nun endlich den Zoll verlassen und den Ausgang betreten, wartet da schon eine alte Bekannte auf mich, Frau Brahms. Frau Brahms ist Berliner Taxifahrerin und wird immer gerne für Fahrten wie die heutige von mir im Vorfeld gebucht. An Tagen, an denen man nicht viel reden, sondern einfach nur noch nach Hause möchte. Ich verabschiede mich von Tankred. Wir reden nicht viel, nehmen uns in den Arm, drücken uns und sagen Tschüss. Dann gehen wir auseinander. Ein, zwei Tage wird es noch dauern, dann werden wir uns wieder sammeln und über das Erfahrene sprechen.
    Frau Brahms legt Barry White auf, und wir fahren durch die Berliner Nacht. Nicht wegen Barry White, aber weil ich nun wieder wohlauf in meiner Heimatstadt Berlin bin, rollen nun auch bei mir die ersten Tränen. Zu Hause angekommen, bin ich ruhig, verstört, leicht autistisch und vor allem müde. Ich rauche noch vier, fünf von meinen Achtundsechzigvierzig-Zigaretten und werde melancholisch. Ich habe Fernweh. Mir fehlt Kabul. Ich drehe in der gesamten Wohnung alle Heizungen auf null und lege mich mit Anziehsachen ins Bett. Die Bettdecke ziehe ich mir bis zum Kopf hoch und schlafe sofort ein.

Nachwort
    Würde man mich fragen, ob ich noch mal nach Afghanistan fliegen möchte, ich würde sofort Ja sagen. Denn viele Fragen sind für mich offengeblieben. Außerdem sind mir dieses Land und seine Bewohner ans Herz gewachsen. So werde ich weiterhin die Entwicklungen dort im Auge behalten. Ob nun von zu Hause aus oder vor Ort.
    Bei unserem insgesamt knapp zweiwöchigen Aufenthalt in Afghanistan haben wir zwar Dutzende von Menschen kennengelernt und deren Geschichten gehört, aber für eine repräsentative Hochrechnung würde es wohl noch nicht reichen. Ich bin sicher, selbst wenn ich ein ganzes Jahr in Afghanistan gelebt hätte, wäre es immer noch mühsam, sich ein genaues Bild zu machen über all die Zusammenhänge, die zu diesem großen Konflikt führten,
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