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Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan

Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan

Titel: Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
Autoren: Kurt Krömer
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Ordnung, denke ich mir. Ich kenne das noch vom letzten Mal. Die Angst und der Prozess des Verarbeitens werden erst zu Hause einsetzen. Damals war es genauso. Die Angst vor dem, was alles hätte passieren können. Die Gedanken über all die gefährlichen Situationen, in denen wir uns befunden haben, das alles würde mich erst zu Hause erreichen.
    Jetzt ist davon bei mir aber noch nichts zu spüren. Während Tankred weint, bestimmt, weil der Stress von ihm abfällt und er sich endlich wieder in Sicherheit fühlt, stellt sich für mich nur ein einziges Problem: Ich habe für Istanbul keine frische Unterwäsche mehr. Ich bin zwar kein Psychologe, aber das nennt man wohl Verdrängung.
    Ich klappe meinen Laptop auf und schaue meine Serie weiter. In der gerade laufenden Szene geht es um einen Verdächtigen, der kurz davor steht, wegen achtfachen Mordes ins Gefängnis zu wandern. Als Druckmittel zeigt der Kommissar ihm noch einmal die Fotos von den Leichen. Blitzartig klappe ich den Laptop zu.
    Neben mir sitzt ein junger Afghane, der auf seinem iPad für seine Flugausbildung übt. Auf der Hinreise nach Kabul hätte mich diese Situation noch in Angst und Schrecken versetzt. Was macht der Mann da?, hätte ich mir gedacht. Kurz vor der Entführung der Maschine noch mal schnell alle Details durchgehen? Nein. Neben mir saß einfach nur ein junger Afghane, der sich auf die Prüfung als Pilot vorbereitet. Basta.

    Am Atatürk Airport in Istanbul angekommen, verabschieden wir uns auf dem Weg zur Passkontrolle von La Fee. Er ist leichenblass und heftig dabei, seine Erlebnisse zu verarbeiten, oder besser gesagt sein Darm. Noch am Morgen in Kabul bekamen wir zum Frühstück jeder ein Ei. La Fee erklärte noch, eigentlich gar keine Eier zu vertragen, aber heute esse er eins. Siegessicher wie damals Harald Juhnke, der der festen Überzeugung war, ein Schnaps werde ihn ja wohl nicht umbringen, verputzte La Fee sein Ei. Es ist vielleicht wie bei mir mit der frischen Unterwäsche: wir konstruieren uns neue Probleme, die dafür sorgen, dass wir uns noch nicht mit dem Erlebten auseinandersetzen müssen.

    Nach dem Rauchen von zwei Zigaretten vor dem Eingang des Flughafens fahren wir mit dem Taxi Richtung Hotel. Mir wird warm. Nach einigem Zögern kurbele ich die Fensterscheibe einen Spaltbreit herunter. Nur langsam realisiere ich, dass das nun kein Problem mehr ist. Das Fenster lässt sich wieder herunterkurbeln, und das Fahrzeug ist auch nicht mehr gepanzert. Ein kleines Gefühl von Freiheit macht sich in mir breit. In einer kleinen Gasse, kurz vor dem Taksim-Platz, kommt es zu einem längeren Stau. Ein Auto, das genauso wie unseres weder vor- noch zurückfahren kann, kommt direkt neben uns zum Stehen. Die Situation beunruhigt mich. Ich drücke die Verriegelung meiner Tür herunter. Ich habe Angst vor einer Entführung. Als der Taxifahrer uns zum Rauchen im Wagen auffordert, verfliegt die Angst wieder. Wir rauchen beide, und ein Gefühl von Glückseligkeit stellt sich ein.

    Nachdem wir gut essen waren und ich mich mit neuen Socken und frischen Unterhosen eingedeckt habe, liegen wir nun zusammen wie ein altes Ehepaar im Bett meines Zimmers. Zwischen uns mein Laptop, auf dem die erste Folge der fünften Staffel von Breaking Bad läuft. Das hatten wir uns damals vor der Reise als Ziel gesetzt: wenn wir lebend aus Kabul zurückkommen, dann gucken wir am ersten Abend in Istanbul Breaking Bad.

    Halb wieder in der Realität angekommen, geht es nach zwei Tagen nun endgültig zurück nach Deutschland. Wir haben Tausende von Kilometern zurückgelegt, haben mindestens dreißig Passkontrollen durchlaufen. Weltweit hatte keiner irgendetwas an meinem – zwar schon zehn Jahre alten, aber immer noch gültigen – Reisepass auszusetzen gehabt. Außer jetzt hier Frau Schlau-Schlau von der Passkontrolle in Berlin-Tegel. Dit is’ mit dem Pass aber die letzte Reise, wa? Die vorvorletzte, erwidere ich. Ich fliege nächste Woche noch schnell mit meinen zwei afghanischen Visa im Pass nach Amerika, dann nach Ägypten, um dann von Ägypten nach Israel zu fliegen, um dort Badeurlaub zu machen. Ottfried Fischers Mimik-Spiel wäre in dieser Situation im Vergleich zu ihrem ein Potpourri der tausend Möglichkeiten. Versteinert und angewidert gibt sie mir meinen Pass zurück.
    Um nicht zu viel Zeit zu vergeuden, während wir am Gepäckband auf unsere Koffer warten, nutze ich die Gelegenheit, schon mal alles startklar zu machen für die erste Zigarette vor dem
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