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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben
Autoren: P Enquist
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außerhalb ihrer von ihr gemeinsam beschlossenen Absprache. Gilt nicht. Er muss an diesem Samstag für eine neue Sünde Rechenschaft ablegen.
    Es ist eine verzweifelte Situation.
    Er beneidet die Kinder, die nicht lieb sind, von denen er in den Erbauungsbüchern gelesen hat. Selbst kennt er kein Kind, also persönlich, das böse ist. Er glaubt, dass alle lieb sind, außer’m Maurits. Aber wenn er sein eigenes Liebsein genau betrachtet, kann keins der Kinder, die er kennt, es mit ihm aufnehmen.
    Sie sind lieb, aber nicht im entferntesten so lieb.
    Er trägt sein Liebsein wie ein Kreuz, oder eher wie einen Albatros um den Hals, resigniert aber, versteht, dass dieses Gutsein ihm von Jesus Christus auf seine Schultern gelegt wurde und dass niemand dieses Kreuz auf sich nehmen wird, um seine Golgathawanderung zu erleichtern.
    Die Samstagsbekenntnisse hören jedoch plötzlich auf, dank eines ihm unbegreiflichen Ereignisses. Es hat mit seiner Pflegeschwester Eeva-Lisa zu tun. Von ihr darf er nicht erzählen. Er liebt beide, sie und seine Mutter, aber ihre immer heftigeren Konflikte quälen ihn. Er findet, dass seine Mutter, im Prinzip ein Urbild von Güte, nicht lieb zu Eeva-Lisa ist.
    Er versteht es nicht.
    Plötzlich schlägt er während der samstäglichen Stunde im Angesicht Christi und bei der üblichen verzweifelten Jagd nach eigenen Sünden, die er bekennen kann, vor, die Mutter solle bekennen, dass sie gegenüber Eeva-Lisa böse gewesen sei. Das wäre gerecht, deutet er an.
    Es wird vollkommen still. Das Gesicht der Mutter ist stumm, und völlig abweisend. Sie sagt kurz und bündig, dass sie nicht verstehe, was er meint. Sie bricht die Andacht ab und fordert ihn auf zu schlafen. Er hört, dass sie nicht schläft. Ohne weitere Erklärung unterbleiben die Beichtstunden von nun an.
    Der Montag nach diesem Vorfall ist ganz normal. Er versteht es fast nicht. Während der Gesangsstunde übt sie mit den beiden Klassen gemeinsam das Lied Still ruht der See ein, dreistimmig.

Mit der Zeit kommt auch ein anderer Lehrer in die Schule. Er heißt Dahlquist.
    Er ist aus Vannäs, das tief im Süden liegt, fast in Stockholm, und Dahlquist bringt die neue Zeit mit. Er ist der erste im Dorf, der Ketchup benutzt. Die Mutter und er werden jetzt zu einem Sonntagsessen bei Volksschullehrer Dahlquist eingeladen, der einen höheren Lohn erhält als die Mutter, obwohl sie der gleichen Berufung folgen (wie sie dem Kind gegenüber einige Male beiläufig erwähnt, vielleicht nicht so wenige Male ), also zu einem Sonntagsessen bei dem Kollegen und seiner Frau. Hinterher fahren die Mutter und er durch den Wald nach Hause, auf Skiern. Es ist nicht gespurt. Er hört die Mutter kritisch murmeln Ketchup und Ketchup und Ketchup, immer muss es was Besonderes sein mit diesem Ketchup . Er versucht, hinter dem schwarzen Rücken der Mutter zu entgegnen, dass dieser Ketchup gut geschmeckt habe, erntet aber nur Schweigen. Es ist unpassend, sich mit Ketchup aufzuspielen .
    Sonst mag die Mutter ihren Kollegen und seine Frau sehr gern. Letztere war einmal schwedische Meisterin auf Skiern, mit der Damenstaffel über vier mal zehn Kilometer, und ist der einzige Sportstar des Dorfs. Bei den jährlichen Wettläufen für das Skiabzeichen applaudieren alle, wenn sie startet. Sie führt auch technisches Skitraining ein; in einer quadratischen Spur um das Schulhaus herum müssen die Kinder Stockarbeit lernen, Diagonalschritt, Doppelstockschub und Doppelstockschub mit Zwischenschritt. Das ist in Ordnung, die Mutter erklärt, dass daran nichts Sündiges ist. Nicht wie Sport am Sonntag. In extremen Notsituationen kann der Doppelstockschub mit Zwischenschritt sehr wohl zupasskommen. Im Süden Richtung Stockholm beherrscht keiner den Doppelstockschub mit Zwischenschritt.
    Schon bald scheint sie ihre prinzipielle Skepsis gegen Ketchup ganz vergessen zu haben.
    Ständig öffnet sich dank Dahlquist eine neue Welt.
    In einer Stunde erwähnt dieser Dahlquist »eingelegte Zwiebeln« und fragt die Schüler – es ist jetzt die Klasse fünf und sechs, weil die Schule zu einer B-1:a angehoben worden ist –, ob sie eingelegte Zwiebeln mögen. Es hat noch niemand von eingelegten Zwiebeln gehört, geschweige denn welche gegessen. In der Frühstückspause stellt Volksschullehrer Dahlquist die Schüler in einer langen Reihe auf dem Schulhof auf und geht mit einem Einmachglas und einem Löffel an der Reihe entlang und stopft jedem Schüler mit dem Löffel eine eingelegte Zwiebel in den
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