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Eifel-Liebe

Eifel-Liebe

Titel: Eifel-Liebe
Autoren: Jacques Berndorf
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derartige Gedanken auslöschte. Immer wenn ich einen Schock erwarte, denke ich über irgendeine Sache nach, die völlig unwesentlich ist.

    Kinsis Anblick war kein Schock.

    Ich habe mich leidlich kennen gelernt. Ich weiß, dass Anblicke grausamer Natur mich weniger schockieren als der Geruch, den sie ausströmen. Es roch nicht neutral, es roch warm nach Heu und Stroh. Ich fühlte mich an meine Kindheit erinnert, an alte Scheunen mit einem Gewirr an schweren dunkelbraunen Balken, an Glasdachziegeln, vor die Generationen von Spinnen ihre Netze gewirkt haben, an das leise Rascheln von Mäusen.

    In das leicht geneigte Dach der Halle waren Lichtbahnen eingelassen, das Auge gewöhnte sich schnell an den Dämmerzustand. Etwa alle sechs Meter waren massive Querträger aus Eisen eingespannt. Kinsi hing am vierten, ziemlich genau in der Mitte der Halle.

    Es war leicht zu begreifen, wie er es gemacht hatte. Er war rechts mit einer Leiter auf einen hohen Haufen Strohballen gestiegen, der bis an das Dach reichte. Vorher hatte er die Schlinge gezogen und das andere Ende des Seils über den Träger geworfen. Dann war er – die Schlinge um den Hals – von der Leiter oder direkt vom Stroh aus in die Tiefe gesprungen. Die Leiter stand noch da, als sei es Sekunden vorher passiert.

    Ich trat langsam näher.

    Kinsi war kein abschreckender Toter, er strahlte so etwas wie Gelassenheit aus. Nicht einmal sein Gesicht war sonderlich verzerrt. Es war das Gesicht eines Mannes, der immer ein jugendlicher, gut aussehender Typ gewesen war. Und dass er lange dort hing, war auch klar, denn der sichtbare Hautton war grau bis braun.

    Jemand links von mir sagte gemütlich: »Noch eine Woche und er wäre vollständig mumifiziert gewesen. Dafür sorgt der trockene Luftzug hier drin.«

    Der Mann war sehr jung und saß, eine Zigarette rauchend, auf einer umgedrehten Schubkarre. »Sie sind von der Presse, nicht wahr?«

    »Ja, ich bin Journalist. Was schätzen Sie, wie lange er hier hängt?«

    »Mindestens eine Woche, wahrscheinlich sogar länger. Ich warte auf den Gerichtsmediziner.«

    »Ich hörte, dass es einen weiteren Fall in Wittlich gibt.«

    »Nicht nur das. In Wittlich handelt es sich um eine Selbsttötung. Aber in Kues ist irgendeine Sexgeschichte mit tödlichem Ausgang passiert. Wieso machen die Leute so was Blödes?«

    »Ich weiß es nicht«, erwiderte ich.

    Der Kripomann war schmal und blond und sah höchst intellektuell aus, was wahrscheinlich auf die randlose Brille zurückzuführen war.

    »Ich habe mit Leuten aus dem Dorf gesprochen. Sie sagen, dieser Kinsi sei kein Selbstmordkandidat gewesen.«

    »Ja, das hörte ich auch«, bestätigte er.

    Nach einer Weile fügte er hinzu: »Man steckt nicht drin. Vielleicht war er ja auch besoffen.«

    »Möglich«, entgegnete ich lahm. »Darf ich Kinsi fotografieren?«

    Er war erstaunt. »Na klar, ich habe nichts dagegen. Aber ist das … ist das nicht irgendwie morbide?«

    Ich ging um den Leichnam herum und schoss ein paar Fotos. »Schon. Aber irgendwie ist es auch eine bestimmte Form von Erinnerung, die man nicht mehr schönreden kann. Es zwingt zur Wahrheit, wissen Sie.«

    »So habe ich das noch nie gesehen. Sie haben doch eine Freundin, die beim Landeskriminalamt in Mainz ist, nicht wahr? Und Ihr Name ist – Baumeister.«

    »Ja. Warum?«

    »Nur so«, murmelte er. »Polizistenehen gehen oft kaputt.«

    »Man muss daran glauben, dass man eine Chance hat«, sagte ich leichthin. »Eine Chance reicht doch. Das ewige Glück ist eine Erfindung der Dummen. Ich will mal wieder. Sagen Sie mir Bescheid, wenn etwas an dieser Sache faul ist? Oder nein, ich kann ja selbst Ihren Chef Kischkewitz anrufen. Er ist ein alter Freund von mir.«

    »Das ist auch so einer, bei dem vielleicht die Ehe kaputtgeht, weil er ständig weg ist und nur noch seinen Job kennt.« Der Mann zuckte zusammen, als habe er etwas zur Sprache gebracht, was mich absolut nichts anging.

    »Und Sie haben wahrscheinlich eine Freundin, die heiraten möchte.« Ich grinste.

    Er lächelte leicht. »Stimmt«, nickte er. »Ich weiß einfach nicht, wie ich mich entscheiden soll. Ich will noch auf die Polizeihochschule.«

    »Versuchen Sie es trotzdem. Wenn Sie es nicht versuchen, fragen Sie sich eines Tages, ob Sie nicht was verkehrt gemacht haben. Machen Sie es gut.« Ich verließ die Halle und war sauer auf mich. Wieso, um Himmels willen, geben wir ständig anderen Menschen Ratschläge, die wir selbst nicht befolgen?

    Ich
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