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Eifel-Filz

Eifel-Filz

Titel: Eifel-Filz
Autoren: Jaques Berndorf
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schleppten sich drei schwerbeladene Lastzüge an mir vorbei, deren Fahrer über Funk miteinander sprachen und lachten – es war ein geruhsamer, sonnendurchfluteter Herbsttag, zwei grausam Ermordete wirkten da vollkommen fehl am Platz, unwirklich.
    Ich fuhr über Rengen nach Daun hinein und erwischte einen passablen Parkplatz, was man ein Erfolgserlebnis nennen kann. Ich war nicht richtig gekleidet, trug ein buntes Sommerhemd, das Kilo zu zwanzig Mark, einfache, bereits angedreckte Jeans und meine geliebte Lederweste, von der Freunde behaupten, sie stamme aus dem 17. Jahrhundert. So marschierte ich unrasiert zu Hans-Jakob Udler, dem Herrn der Sparkasse, dem nachgesagt wurde, er liebe den Stil Ludwigs XIV.
    Seine Sekretärin betrachtete mich mit der edlen Abscheu, die Figuren mit meinem Outfit erregen, und plapperte obenhin: »Ich fürchte, der Chef hat keine Zeit.«
    »Doch, hat er«, lächelte ich. »Sagen Sie ihm, Pierre Kinn ist tot.«
    Sie wollte etwas erwidern, führte den Zeigefinger der rechten Hand durchaus grazil zum Mund, aber sie sagte nichts und entschwand hinter einer Tür. Es dauerte kaum zehn Sekunden, da trällerte sie: »Der Herr Direktor Udler hat jetzt Zeit.«
    »Siehste«, sagte ich und ging an ihr vorbei.
    Ich bin immer wieder äußerst verblüfft über die Phantasielosigkeit, die in den Arbeitsräumen der Mächtigen waltet. Alles ist Mahagoni oder Walnuß oder Rosenholz, der Teppich ist gedeckt, irgendwo kümmert etwas Grünliches in geschmacklosen Keramiktöpfen und verbreitet die Heimeligkeit eines feuchten Aschenbechers. Auf dem Schreibtisch liegt gewöhnlich nichts, was wohl darauf hindeuten soll, daß der Hausherr alles im Griff hat. Bei Udler war das genauso.
    Er hockte hinter seinem leeren Schreibtisch wie hinter einer Brustwehr, und er hatte ein vollkommen graues Gesicht wie aus pulvrigem Zement. Er sah mich an, und er sah mich doch nicht. Um seinen Mund zuckte es, die Finger beider Hände rangen miteinander und verschränkten sich. Er war ohne Zweifel ein sehr betroffener, tieftrauriger Mann.
    Ruckartig stand er auf und stieß den Stuhl mit den Kniekehlen heftig zurück. Zittrig fragte er: »Unfall, nicht wahr? Pierre fuhr immer zu schnell. Viel zu schnell.«
    Weil ich den Atem seiner Sekretärin im Genick spürte, antwortete ich nicht.
    Er stierte mich mit weiten Augen an und beugte sich dabei vor. Dann drehte er sich blitzschnell zur Seite, als habe ihn ein körperlicher Schlag getroffen, und schloß die Augen. »Er fuhr immer zu schnell. Wie oft habe ich ihn gewarnt. Mein Gott, Pierre.«
    Die Tür hinter mir klackte.
    »Aber Sie sind nicht von der Polizei, oder?«
    »Ich bin nicht von der Polizei«, bestätigte ich. »Aber die wird bald hier sein. Pierre Kinn ist erschossen worden. Auf dem Golfplatz. Gestern abend.«
    Diese wirklich mächtigen Brieftaschenherren in der Provinz beherrschen den Trick des Understatements auf eine geradezu erschreckende Weise. Sie sehen wie gütige Väter aus, tragen den Kranz weißer Haare wie einen Orden, gehen sonntags brav in die Kirche und sind wie Geier auf dein Geld aus. Sie wirken oft wie langweilige Typen, aber das ist gewollt. Diese Maske fehlte Udler jetzt, er war fassungslos.
    Er war so groß wie ich, etwa 175 Zentimeter. Er war leicht dicklich, aber nicht fett, hatte einen zu hohen Blutdruck, sein Hals war gedrungen und rot. Er trug einen dunkelblauen Anzug mit Weste und schwarz-weiß gestreifter Krawatte. Seine Augen waren ganz leer, im Grunde war sein Gesicht hager, was durch die breite Stirn verwischt wurde, und er trug nicht einfach eine Uhr, er trug eine Breitling.
    Udler flüsterte: »Ich habe ihn so gemocht. Er war wie ein Sohn.«
    Dabei wußte er immer noch nicht, ob er mir einen Stuhl anbieten sollte. Ich setzte mich erst einmal.
    »Selbstverständlich«, murmelte er und ging hinter seine Brustwehr zurück. »Erschossen? Wie denn das?«
    »Wir kennen die Waffe noch nicht. Kennen Sie jemanden, der diesen Pierre Kinn genügend haßte, um ihn zu erschießen?«
    Er hockte da wie ein Häufchen Elend und starrte mich an, legte beide Hände vor sein Gesicht. »Sowas Verrücktes«, hauchte er. Dann fiel ihm etwas auf. »In welcher Funktion sind Sie hier? Ich meine, was haben Sie eigentlich damit zu tun?« Plötzlich hatte er wachsam funkelnde Augen.
    »Ich bin Journalist«, erklärte ich.
    »Aha.« Das gefiel ihm nicht, aber er nahm es hin. »Pierre Kinn war einer meiner engsten Mitarbeiter. Sehr eifrig, sehr talentiert, sehr nah am Kunden.
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