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Eiertanz: Roman (German Edition)

Eiertanz: Roman (German Edition)

Titel: Eiertanz: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Brendler
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Stacheldraht umzäunt, jemand hatte die Pfähle herausgerissen. Auf Kommoden und Tischen brannten die Papstkerzen. Floh lag winselnd vor der Haustür und empfing uns, als wären wir monatelang auf einer Polarexpedition gewesen. Niemand sonst beachtete uns. Franzi und Özcan tanzten zur Musik aus dem tragbaren CD-Player, den wir, neben ungefähr fünfzig ähnlichen Modellen im Planquadrat E6, erster Stock, ausgegraben hatten. Lutz lag auf einem Sofa, den Kopf in Julias Schoß. Hartl, ein Jackett über seinem festlichen weißen Hemd, sah an Christianes Seite tatsächlich eher nach Leonhard aus als nach Hartl und hielt ihre Hand. Sie saßen dicht beieinander, auf einem breiten Sessel aus rotem Plüsch, und jetzt, da ich Gelegenheit hatte, die Flecken an seinem Hals näher zu betrachten, ahnte ich, auf welche Weise er die Nacht verbracht hatte. Und mit wem. Christiane hatte sich umgezogen, trug jetzt Jeans und Bluse und wirkte kein bisschen übernächtigt. Während sie Geschichten über ihre Tante erzählte, schien ihr Daumen in ein eigenes Gespräch mit Leonhards Daumen vertieft zu sein, ein unablässig streichelndes, zärtliches Gespräch. Sie lächelte mir zu, als ich mich auf den freien Stuhl neben Julia setzte.
    »Was, kruzifixnoamoi, ist denn hier los?«, fragte ich Julia leise.
    »Schau mal hoch.« Sie machte eine Kopfbewegung Richtung Dach. Wo im schon violetten Abendlicht das Transparent »Rettet die Romantik!« hing. Daneben prangte ein zweites, neues und größeres Transparent: »Christiane, ich liebe dich, egal, was du tust.« Die riesigen Lettern glitzerten, rot und golden, den ersten scheu aufscheinenden Sternen entgegen. Vermutlich sichtbar bis in die nächste Galaxie, ein Anflugspunkt für alle Außerirdischen, unterwegs in Entführungsabsichten. Aber niemand, der hier zwischen dem Sperrmüll saß oder tanzte, machte den Eindruck, als lege er Wert auf eine Erlebnisreise in eine andere Galaxie. Judda und Üwe hatten die Romantik für sich entdeckt, tanzten Blues auf einer Kommode, der fischlippige Mann aus dem Tauchkurs drehte sich innig mit einer Stehlampe, Nat Wildmoser und seine Jungs hatten das Singen aufgegeben, konzentrierten sich nur noch auf die Bierdosen. Der Nail-Art-Stand war vorübergehend zu einem Apfeldatschi-Stand geworden, die Metzgerin, Kathi und Therese trugen weitere Bleche aus dem Café herbei, plauderten friedlich über das gelungene Event.
    »Es gibt a großes Foto von meinem Abtransport auf der ersten Seite im Lokalteil«, verkündete Therese stolz, stellte Apfeldatschi und Kräuterlikör neben die Platte mit den übrig gebliebenen Fleischpflanzerln, die niemand mehr anrührte, immerhin waren wir alle durch Kuhkuscheln und den Genuss der veganen Yin-Yang-Haxe sensibilisiert. Deren Zubereitung, flüsterte mir Julia zu, habe Lutz so sehr erschöpft, dass er Piccos Anblick auf dem Dach nicht mehr verkraftet und einen Ohnmachtsanfall erlitten habe. Zum Glück nur für Sekunden. Er habe sich erholt und mit allen anderen der Papageienrettung beigewohnt. Sie habe ihm nachher in der Küche etwas zu essen geholt und Quirin getroffen, der seinerseits mir etwas zu essen holte und sie bat, die nächste Stunde nicht unbedingt den Dachboden aufzusuchen.
    »Jetzt mal ehrlich, Süße: Ihr habt da oben gegessen? «
    Ich schüttelte den Kopf und nahm mir ein großes Stück Apfeldatschi. Mit Sahne. Bei einem Orgasmus, hatte ich einmal gelesen, verbrauchte man bis zu dreihundert Kalorien. Irgendein Schlaumeier, der wahrscheinlich nicht allzu viele Kalorien auf diese Weise verbrannte, hatte errechnet, dass dieser Energieverbrauch, gemessen an der kurzen Dauer, eine Leistung von zweiundvierzig Kilowatt ausmachte. Vermutlich hätten Quirin und ich eine mittlere Großstadt zum Leuchten bringen können. Und ich hatte mir meinen Apfeldatschi verdient.
    Julia sah mich immer noch neugierig an, aber der genaue Bericht über das, was in der Dachkammer passiert war, musste bis morgen warten. Ich hauchte nur ein schnelles: »Süße, es war perfekt«, bevor Quirin, der zur Tauchschule gejoggt war, sich neben mich setzte, jetzt umgezogen, in Jeans und Hemd.
    »Und was wird mit dem Haus und Strobls?«, fragte ich Julia schnell, bevor sie näher darauf eingehen konnte. »Hat sie was gesagt?«
    Julia zuckte mit den Schultern. »Nur, dass sie nicht bei den Strobls war. Sie ist beim Notar gewesen und im Beerdigungsinstitut. Aber das konnte ich doch nicht wissen!« »Hier sind wohl einige etwas übereifrig gewesen«,
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