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Verfuehrung in bester Gesellschaft

Verfuehrung in bester Gesellschaft

Titel: Verfuehrung in bester Gesellschaft
Autoren: Kat Martin
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PROLOG
    Boston, 1857
    E s hieß, das Warten werde stets belohnt, aber Rule Dewar war davon nicht ganz überzeugt. Er stand in der langen Marmorhalle auf Griffin Heights, dem palastartigen Anwesen seines Dienstherrn am Rande von Boston, und wartete angespannt, während der Butler mit ausdrucksloser Miene an die Tür des Arbeitszimmers klopfte.
    Er unterdrückte das Bedürfnis, sein Halstuch zu richten oder sich das Haar glatt zu streichen, und straffte die Schultern, als er leise Schritte auf der anderen Seite der Tür vernahm. Dann wurde die Tür geöffnet. Der Mann, der ihm gegenüberstand, lächelte. Offenbar hatte er die Ankunft seines Gastes erwartet.
    „Rule! Kommen Sie herein, mein Junge! Ich freue mich, dass Sie so kurzfristig noch vorbeikommen konnten.“ Howard Griffin war Inhaber von Griffin Manufacturing, einer Firma, die hochkarätige Waffen herstellte. Er führte ihn in sein Arbeitszimmer – einen großen Raum voller Bücher, der einen bedeutenden Teil des Westflügels einnahm.
    Rule folgte der Aufforderung. „Es war kein Problem. Ich hatte mir gerade Ihre Änderungswünsche für die neuen Entwürfe angesehen.“
    Griffin, ein Mann in den Vierzigern und beinahe so groß wie Rule, war kräftig gebaut und hatte rotbraunes Haar. Er ging zu einem Schrank aus schimmerndem Mahagoni, griff zur Tür und schob sie auf. Dahinter verbarg sich eine gut gefüllte Bar mit hochwertigen Getränken und Kristallkaraffen, die auf schimmernden Silbertabletts standen.
    „Was also halten Sie von der neuen Linie?“, fragte Griffin. Er nahm zwei Kristallgläser und stellte sie auf die Anrichte.
    „Ich stimme Ihrer Einschätzung zu. Ich glaube, irgendwann werden die kleinen Kaliber überall von einem gezogenen Lauf ersetzt werden. Wir sollten darüber nachdenken, ob wir den Anteil der Musketen verändern, die wir produzieren.“
    Griffin lächelte offenbar zufrieden, obwohl Rule den Eindruck hatte, dass der Mann nicht mit ihm über Geschäfte reden wollte.
    „Möchten Sie einen Whiskey?“ Der ältere Mann hielt eine Karaffe mit einer goldbraunen Flüssigkeit hoch. „Oder vielleicht lieber etwas anderes?“
    Rule bevorzugte Brandy, ein etwas weicheres Getränk, aber die Amerikaner schienen Hochprozentiges zu lieben. Er hatte sich inzwischen an den Geschmack gewöhnt. „Whiskey ist in Ordnung.“
    Griffin schenkte beiden einen Drink ein und reichte Rule ein Glas. Rule trank einen Schluck. Das Brennen des Alkohols in seiner Kehle nahm ihm ein wenig von der Anspannung, die er spürte. Wenn auch nicht alles. Jetzt strich er sich doch übers Haar, bis jede Strähne an ihrem Platz lag. Es geschah nicht oft, dass der reiche Inhaber der Gesellschaft ihn in sein Haus einlud. Was wollte er von ihm?
    Griffin bat Rule nicht, Platz zu nehmen, sondern führte ihn zu einem Fenster, von dem aus man in den Garten sehen konnte. Obwohl das Jahr noch nicht alt war, sprossen bereits erste Frühlingsblumen. Die gewundenen Wege durch den Garten waren sorgfältig gepflegt.
    Griffin schwenkte sein Glas. „Seit Sie in meinen Diensten stehen, haben Sie ausgezeichnete Arbeit geleistet, Rule. Es war eine kluge Entscheidung, Sie zu engagieren.“
    „Vielen Dank, Sir.“ Obwohl Rule erst vierundzwanzig Jahre alt war, hatte ihm Griffin bereits große Verantwortung übertragen. Rule schrieb dies seiner guten Erziehung in Oxford zu, die die Amerikaner zu beeindrucken schien, aber auch seinem Stammbaum.
    Rule war nicht dumm. Als englischer Aristokrat hatte er Zutritt zu den höchsten Kreisen der Gesellschaft auf beiden Seiten des Ozeans. Der Bruder eines Dukes zu sein, öffnete ihm eine erstaunliche Anzahl von Türen, und Rule war bereit, jeden Vorteil zu nutzen, um seine Karriere voranzutreiben.
    Griffin drehte sich um und sah aus dem Fenster. In der Ferne sprühte eine Wasserfontäne aus einem marmornen Brunnen in die strahlende Frühlingssonne. Er war auffallend nachdenklich und ruhig, was im Widerspruch zu seiner sonst so forschen Art stand.
    „Ich glaube, meine Tochter Violet haben Sie schon kennengelernt?“
    „Ja, Sir, ich traf sie bei mehreren Gelegenheiten. Ein reizendes Mädchen.“
    „Sie ist noch jung, erst sechzehn, und ein bisschen wild. Das ist mein Fehler. Ich hatte keinen Sohn, also habe ich sie verwöhnt.“
    Rule blickte dorthin, wohin Griffin sah: zu einer hohen Maulbeerfeige, die rechts vom Brunnen stand. Unter den Zweigen saß Violet Griffin auf einer Schaukel und lachte, während sie sich immer höher in die Luft schwang,
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