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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort
Autoren: Ingrid Noll
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akademischen Bildung den Professor nannte, sprach vom Helfersyndrom wie von einer Kinderkrankheit; dieses Wort war schließlich in aller Munde und wurde stets mit einem höhnischen Hahaha begleitet. Schließlich ging es gegen die Ganovenehre, wenn man zugab, dass die Gutmenschen Erfolg hatten. Das Ziel war bekannt:

    Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zuführen.

    Aber was halfen Weiterbildung, Gruppengespräche, Ergotherapie und mühsam gefasste Vorsätze, wenn man nach der Entlassung in eine feindliche Welt hinaustrat? Die Frauen hatten einen Neuen, die Kinder waren Schulversager oder kriminell geworden, ein Arbeitsplatz war nicht in Sicht, meistens noch nicht einmal eine menschenwürdige Unterkunft.

    Bisher war es leicht gewesen, Max auszunehmen. Aber der schien jetzt sein Helfersyndrom abgelegt zu haben und andere Saiten aufzuziehen. Er zahlte nicht mehr. Dabei war es ihm offenbar nicht schwergefallen, die 400 Euro monatlich hinzublättern. Reiche Eltern, das hatte man besonders gern.
    Irgendetwas musste geschehen sein, ganz abgesehen von Falkos unrühmlicher Rolle beim Einbruch im Haus Knobel. Pit Bull, den er mit seinem Eisenrohr hingeschickt hatte, war auf mysteriöse Weise aus dem Weg geräumt worden.
    Weil Falko sowieso nichts Besseres zu tun hatte und das Bein immer weniger schmerzte, schwang er sich gelegentlich aufs Motorrad und beobachtete das Haus Knobel aus sicherer Entfernung. Die Mutter kannte und hasste ihn inzwischen und würde bei seinem Anblick unverzüglich die 110 wählen. Aber er hatte nach und nach herausbekommen, wo die Eltern arbeiteten, wann sie heimkamen, und dass der Großvater durch eine Truppe von Pflegerinnen betreut wurde. Es gab Tageszeiten, da konnte er ohne weiteres ein paar Runden ums Haus drehen, ohne dabei entdeckt zu werden. Bei Gelegenheit wollte er sich den dummen kleinen Max mal wieder zur Brust nehmen.
    Bei einer seiner Erkundungen erlebte er eine sensationelle Überraschung: Seine ehemalige Braut Jenny ging hier aus und ein. Sie rückte mit einem Dienstwagen an, trug einen Kittel und besaß einen Hausschlüssel.
    Vor Jahren hatte sich Jenny fluchtartig aus Heidelberg abgesetzt. Falko hatte vermutet, dass sie zu ihrer Schwester nach Schweinfurt oder zurück in den Odenwald gezogen war. Na warte, dich krieg' ich noch, dachte er jetzt. Er hatte ihr seinen Falken aufgestempelt als Zeichen dafür, dass sie sein Eigentum war - und es immer bleiben würde.
    Als er nun eines Nachts mitbekam, dass Max zärtlich seinen Arm um Jenny legte und sie mit dem Auto heimfuhr, begriff er, dass sie bei Knobels nicht bloß pflegte. Ihn überkam grenzenlose Wut und gleichzeitig dämmerte es ihm langsam: Max und Jenny hatten Pit Bull auf dem Gewissen. Seiner ehemaligen Freundin traute er es zu, ihren früheren Peiniger kaltgemacht zu haben. Sicher, es war damals falsch gewesen, Pit anzuheuern. Er hätte Jenny fürs Bordell vorbereiten und abrichten sollen, war dabei jedoch zu weit gegangen.
    Falko kannte Jennys Charakter ziemlich gut. Nach Pit Bulls Gewaltakt hatte sie wie eine Furie gewütet, beiden das Gesicht zerkratzt und Rache geschworen. Danach war sie verschwunden, und er war kurz darauf im Bau gelandet. Wahrscheinlich hatte sie ihn verpfiffen, zumindest aber den Bullen einen anonymen Tipp gegeben. Für diesen Verrat plante er eine Bestrafung, die sich gewaschen hatte.

    Der nächste Schritt war ganz leicht, nämlich Jennys Wohnung ausfindig zu machen. Er brauchte ihr nur diskret nachzufahren und sie bei ihren Hausbesuchen zu beschatten.
    Jenny erschrak maßlos, als sie eines Nachmittags zum Fenster hinausschaute und Falko entdeckte, wie er mit dem Motorrad vor ihrem Haus patrouillierte. Zwar hatte sie ihn lange nicht mehr gesehen, und sein Kopf war durch den Helm fast vollständig getarnt, doch sie erkannte sofort seine auffällige Lederjacke, deren Rückseite ein Falke schmückte.
    Noch nie hatte sie ein eigenes Auto besessen. Die Dienststelle war nicht allzu weit entfernt, sie konnte notfalls zu Fuß hingehen. Im Allgemeinen nahm sie aber das Fahrrad, stellte es dort ab und setzte sich in den Firmenwagen. Wenn sie am späten Abend mit der Arbeit fertig war, stieg sie wieder auf und radelte nach Hause. Hin und wieder, wenn es regnete oder sie besonders erschöpft war, durfte sie den Dienstwagen auch für die Heimfahrt benutzen, musste ihn aber für die Frühschicht sehr zeitig wieder abgeben. Da
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