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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort
Autoren: Ingrid Noll
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womöglich für ungültig erklären würden?
    Max schlich sich noch einmal ins Zimmer des Alten, der mit hochrotem Kopf am Schreibtisch saß und vor sich hin plapperte.
    »Ilse, am liebsten mag ich ja deine schönen Augen, weißt du noch...« Und er sang:

    ... Blauäuglein blitzen drein...

    »Was ist das für ein Lied, Opa?«, fragte Max und nahm seinem Großvater den Krückstock aus der Hand, mit dem er wild in der Gegend herumfuchtelte, um den Takt zu schlagen.
    »Ein Minimum an Bildung hätte ich schon von der Gattin eines Akademikers erwartet! Das musst du doch noch wissen! Victor von Scheffel«, sagte der Alte. »Alt Heidelberg. Hol endlich dein Akkordeon, Ilse.«
    Max rief Jenny an, die sich etwas ärgerlich am Handy meldete. Sie war gerade dabei, einer Schwerkranken das Nachthemd zu wechseln. Max bat sie darum, wieder etwas von jenem Sedativum mitzubringen, das beim letzten Mal so ausgezeichnet geholfen habe.
    »Er fängt wieder an zu spinnen«, sagte er, »außerdem habe ich eine tolle Überraschung für dich!«
    Am Telefon wollte er noch nichts verraten, aber er malte sich Jennys Freude aus, wenn er vom bevorstehenden Umzug nach Dossenheim und der Aussicht auf ein gemeinsames Haus berichten würde. Im Geist ging Max die Zimmer durch und überlegte, wie man alles am praktischsten einteilen könnte. Für den Alten sollte man das Schlafzimmer auf jeden Fall ins Erdgeschoss verlegen, damit er keine Treppen steigen musste. Die Küche und sein vertrautes Wohnzimmer sollten so bleiben; bestimmt konnte man die große Diele etwas verkleinern und mit dem gewonnenen Raum die kleine Toilette im Parterre mit einer Sitzbadewanne ausstatten. Max und Jenny würden je eines der ehemaligen Kinderzimmer im ersten Stock beziehen sowie ein gemeinsames Schlafzimmer mit einem Kingsize-Bett. Die Kosten für diverse Umbauten und Anschaffungen waren zwar nicht ganz zu überblicken, aber der spendable Opa würde sicherlich genügend Kohle beisteuern.
    Als Petra und später auch Harald eintrafen, hatte der Großvater mit dem Singen immer noch nicht aufgehört. Besonders das lateinische Studentenlied Gaudeamus igitur war für Harald ein rotes Tuch.
    Beim Abendessen knurrte Harald mit einem waidwunden Blick zur Zimmerdecke: »Das muss ein Ende haben, sonst drehe ich durch!«
    »Ich auch«, sagte Petra.
    »Nos habebit bumus!«, schallte es von oben herunter.
    Wahrscheinlich waren seine Eltern den Störenfried ja ohnedies bald los. Doch Max verriet noch nichts und zog es vor, schweigend den Tisch abzudecken und auf Jenny zu warten.

    Seine Liebste zog ein Fläschchen mit dem Wundermittel aus der Handtasche, schwenkte es triumphierend und flitzte leichtfüßig nach oben. Erst als der Alte gut versorgt im Bett lag und langsam dösig wurde, fragte sie: »Und? Was wolltest du mir sagen?«
    Absolut cool, dachte Max wieder. Seine neugierige Schwester oder gar seine Mutter hätten ihn angesichts einer angekündigten Überraschung gleich an der Haustür mit Fragen gelöchert. Aber die Frauen schienen doch nicht alle gleich zu sein.
    Jennys Ausdruck war schwer zu deuten, sie sah Max zwar sehr aufmerksam an, fiel ihm aber keineswegs um den Hals.
    »Und wie viel Miete wird mich das kosten?«, fragte sie skeptisch und flocht dabei ihren Zopf, der sich aufgelöst hatte.
    Max tat so, als müsse er überlegen, dabei hatte er sich längst eine Antwort zurechtgelegt.
    »Vorerst einmal gar nichts, dann kannst du nämlich für den Hautarzt sparen. Wenn der Falke auf deinem Rücken verschwunden ist, können wir ja erneut verhandeln. Wie gefällt dir mein Angebot?«
    Wieder zeigte Jenny nur mäßige Begeisterung und bat um Bedenkzeit. Wahrscheinlich war sie zu stolz, um sofort in eine Abhängigkeit hineinzuschlittern.
    »Kannst du heute bei mir bleiben?«, fragte Max etwas zaghaft, denn es war über eine Woche her, dass sie mit ihm geschlafen hatte. Zu seiner Überraschung war sie einverstanden und gab ihm einen etwas flüchtigen Kuss.

24

    Falko war nicht dumm, nur etwas schwer von Begriff. Nach geraumer Weile hatte er gemerkt, dass Max etwas mit Pit Bulls Verschwinden zu tun haben musste. Im Knast wurde, wenn auch mit unterschwelligem Wohlwollen, über die Gutmenschen gespottet, die sich um die Resozialisierung der Insassen bemühten. Profis auf diesem Gebiet waren Sozialarbeiter, Bewährungshelfer, Gefängnispsychologen, Ärzte und Pfarrer, für die man durchaus Hochachtung empfand, die man aber selten offen aussprach. Ein Häftling, den man wegen seiner
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