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Ehemänner

Ehemänner

Titel: Ehemänner
Autoren: Angeles Mastretta
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alle Einzelheiten zur Genüge kannte, zu wissen, auf wessen Seite sie stand. »Die Furcht vor dem letzten Sprung ist überwunden«, hatte Ana ihr in der Zehnuhrpause beim Kaffee gesagt. Danach war vier Stunden lang nur noch das Gemurmel der friedlich arbeitenden Frauen zu hören. Doch das Glück gleicht einem Vogel, der wie der Wind zur einen Tür herein- und zur anderen wieder hinausflattert, und so stürmte gegen drei Uhr eine Gruppe Mariachis das Büro und fing an Paloma querida zu schmettern; auf wessen Geheiß, wusste nur Ana. Sie waren gekleidet, als wäre es mitten in der Nacht, und ihre Gesichter wirkten, als hätten sie mehrere Nächte durchgesungen. Hinter ihnen stolperte Juan herein, mit dem seligen Lächeln eines Erzengels. Aus glasigen Augen blickte er unschuldiger drein denn je, verbreitete unheilverkündende Heiterkeit und hatte einen Rausch von Jahrhunderten.
    »Du kannst gleich wieder gehen«, sagte Ana, bleich bis zu den Zehenspitzen. Während sie auf ihn zutrat, versagte ihr die Sprache, dann bekam sie wieder Farbe, bis sie glühte. Sie ergriff Juans Hand und zog ihn wie einen Randalierer zur Tür, immer gefolgt von den Mariachis, die nicht aufhörten zu singen, als erlebten sie alle Tage Szenen dieser Art.
    Als endlich alle nach draußen verfrachtet waren, machte Ana auf dem Absatz kehrt. Juan sah, wie sie wegging, sah ihre perfekt geformten Beine, ihren roten Rock und die hochhackigen Schuhe. Er sah zu, wie die Frau seiner Träume mit schwingenden Hüften, erhobenem Kopf und stolzer Mähne entschlossenen Schrittes verschwand. Da war nichts zu machen.
    »Du hast mich nie geliebt, du Lügnerin. Lieb mich, wie ich bin, lieb mich als den Säufer, der ich bin«, sagte er, bevor die Tür hinter ihr zuschlug.
    Ana drehte den Schlüssel herum und ließ sich fallen wie ein Wassertropfen. Sie machte sich ganz klein, zog erst die Knie an, rollte dann den Rumpf, die Schultern und den Kopf ein. Sie holte einmal tief Luft, ohne die Augen zu öffnen. Anschließend stieß sie die geballte Luft in einer Sekunde wieder aus und sprang auf die Füße. So verharrte sie reglos und dachte: Wenn ich mich jetzt umschaue, erstarre ich zur Salzsäule. Erst dann machte sie sich auf den Weg zum Büro ihrer Schwester. Draußen sangen immer noch die Mariachis.
    »Juan Icaza«, sagte sie, als könnte er hören, wie sie voller Liebe und Groll seinen Namen nannte.
    Sie hatte ihm den Brief, den sie in der kürzesten Nacht ihres Lebens geschrieben hatte, gar nicht zu geben brauchen. Der Brief war lang, und sie hatte ihn gerade erst beendet, als ihre Kinder aufwachten und ihr Mann aufstand, um Kaffee zu kochen. Ein Brief, der all die Ängste und Zweifel enthielt, die ihrer loyalen Wesensart entsprachen. Sie könne ihre Familie nicht verlassen, hieß es darin, sie finde nicht die Worte, um vor ungläubigen Augen zu rechtfertigen, warum sie ihnen ein Leid antue, das sie nicht verdienten. Ihr fehle die Kraft, noch an das Unmögliche zu glauben, und die Lust, auf eine neue Kreuzfahrt zu gehen, sowie der Wille, ihre Arbeit an den Nagel zu hängen, nur um rund um die Uhr die Ehefrau eines Mannes zu spielen, der sich als Mittelpunkt der Welt verstehe. Es fehle ihr auch der Mut, in der ständigen Angst zu leben, dass ein Glas im falschen Moment, etwa beim Dominospiel, dem ganzen Zauber ein jähes Ende setzen könnte. Mit ihm verbinde sie all ihre Hoffnungen, aber sie habe kein Vertrauen. Genau das hatte sie ihm geschrieben. Und sie hatte recht behalten, zu seinem Pech und zu ihrem Leidwesen.
    »Wie hattest du dich entschieden?«, wollte ihre Schwester wissen.
    »Ihn ziehen zu lassen«, sagte sie. »Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er die Liebe meines Lebens ist.«
    »Warum hast du ihn dann nicht geheiratet?«, fragte ihre Schwester mit ihrer Vorliebe, immer im falschen Moment das Richtige zu fragen.
    »Das lag nicht in meiner Hand«, sagte sie. »Entscheiden tut immer nur er. Es ist immer er, der zuerst geht, mit einem Glas in der Hand, zwei Liedern auf den Lippen und fünfundzwanzig Klagen im Herzen.«
    Sie ließ ihre Schwester den Brief lesen.
    »Gib ihm den Brief, das ist die Lösung. Geteiltes Leid ist halbes Leid.«
    Ana glaubte nicht daran, denn in den zweihundert Jahren ihrer Bekanntschaft war immer nur sie an allem schuld gewesen. Das zumindest raunte der Wind schon seit dem Moment an der Treppe, als es für alles noch eine Lösung gegeben hatte außer für das Band, das ihre Namen miteinander verknüpfte.

Es kam nie
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