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Eden

Eden

Titel: Eden
Autoren: Stanislaw Lem
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Der Ingenieur sah ihn verwundert an. »Wir haben doch nichts davon, nur unnützer Ballast.« »Ich möchte lieber keine radioaktiven Spuren hinterlassen … Sie kennen die Atomenergie nicht, und es ist besser, sie lernen sie nicht kennen …« »Vielleicht hast du recht«, murmelte der Ingenieur. »Eden … Weißt du«, fügte er nach einer Weile nachdenklich hinzu, »allmählich beginnt sich mir ein Bild zu formen, nach den Worten des Doppelt, dieses Astronomen oder vielmehr … des Kalkulators… Ungeheuerlich.«
    »Ja.« Der Koordinator nickte langsam. »Ein extremer Mißbrauch der Informationstheorie, und dabei so konsequent, dass er Bewunderung erweckt. Sie erweist sich als ein Werkzeug, das schrecklichere Torturen zufügen kann als alle physischen Quälereien, weißt du? Selektionieren, Hemmen, Blockieren von Informationen. Man kann auf diese Weise tatsächlich eine geometrisch exakte, gräßliche >Prokrustik< betreiben, wie sich der Kalkulator ausdrückte.«
    »Meinst du, dass sie …, dass er das begreift?«
    »Was heißt, ob er das begreift? Denkst du, er hält diesen Zustand für normal? In gewissem Sinne vielleicht. Er kennt ja nichts anderes. Obwohl er sich auf ihre frühere Geschichte berief, auf die der gewöhnlichen und dann der anonymen Tyrannen. Er hat also eine Vergleichsskala. Ja, ganz bestimmt, ohne sie hätte er uns das nicht sagen können.« »Wenn die Berufung auf Tyranneien die Erinnerung an bessere Zeiten bedeuten soll, dann … danke schön!« »Und dennoch. Eigentlich ist das ein zusammenhängender Entwicklungsablauf. Einer der Tyrannen kam offenbar auf den Gedanken, die Anonymität könnte ihm bei dem bestehenden Herrschaftssystem nützen. Eine Gesellschaft, die keinen Widerstand konzentrieren, keine feindlichen Gefühle gegen eine konkrete Person richten kann, wird entwaffnet.« »Ach, so verstehst du das! Der Tyrann ohne Gesicht!« »Vielleicht ist das eine falsche Analogie, aber als sich nach einiger Zeit die theoretischen Grundlagen für ihre >Prokrustik< herausbildeten, ging einer seiner Nachfolger noch weiter. Er liquidierte zum Schein sogar sein Inkognito, setzte sich selbst und das Regierungssystem ab - natürlich nur im Bereich der Begriffe, der Worte, der öffentlichen Kommunikation …« »Aber warum gibt es hier keine Befreiungsbewegungen? Das will mir nicht in den Kopf! Und selbst, wenn sie ihre >Strafgefangenen« auf die Weise bestrafen, dass sie sie in autonome, isolierte Gruppen eingliedern, so muss doch, da jede Art von Bewachung, von Aufsicht, von äußerer Gewalt fehlt, eine individuelle Flucht und sogar ein organisierter Widerstand möglich sein.« »Damit eine Organisiation entstehen kann, müssen zuerst Verständigungsmittel vorhanden sein.«
    Der Koordinator schob das Endstück des Geigerzählers durch die Turmluke hinaus. Sein Ticken wurde allmählich schwächer. »Beachte bitte, dass bestimmte Erscheinungen bei ihnen nicht grundsätzlich namenlos sind, auch nicht im Zusammenhang mit anderen. Sowohl die Namen wie die Zusammenhänge, die man als wirklich hinstellt, sind lediglich Maskierungen. Die Verunstaltungen, die durch Mutationen verursacht wurden, bezeichnet man als eine Krankheitsepidemie, und so muss es wohl mit allem sein. Um die Welt zu beherrschen, muss man sie zuerst benennen. Ohne Wissen, ohne Waffen und ohne Organisation, von anderem Leben abgeschnitten, können sie nicht viel anfangen.« »Da hast du recht. Aber die Szene auf dem Friedhof und der Graben vor der Stadt weisen doch darauf hin, dass die Ordnung möglicherweise hier nicht so vollkommen ist, wie sich das der unsichtbare Herrscher vielleicht wünscht. Hinzu kommt, dass unser Doppelt so sehr über die glasige Mauer erschrak, entsinnst du dich? Offenbar verläuft hier nicht alles so glatt.« Der Geigerzähler über ihren Köpfen tickte nur noch träge. Die Trümmer der das Raumschiff umgebenden Wand waren dunkler geworden. Nur die Erde rauchte noch, und die Luft darüber zitterte, so dass die Sternbilder eigenartig schwankten. »Der Start ist beschlossen«, sagte der Ingenieur. »Dabei könnten wir ihre Sprache noch viel besser kennenlernen, könnten erfahren, wie ihre verdammte Obrigkeit schaltet und waltet, die ihre eigene Nichtexistenz vortäuscht. Und … wir könnten ihnen Waffen geben…« »Wem? Diesen Unglückseligen, solchen wie unserem Doppelt? Würdest du ihm den Annihilator anvertrauen? Mensch!« »Anfangs könnten wir ja selbst…« »Diese Obrigkeit zerstören, ja? Mit anderen
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