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Eden

Eden

Titel: Eden
Autoren: Stanislaw Lem
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Die Vibration wurde zusehends stärker. Sicherlich hatten sich die Lageraufhängungen der Turbinen gelockert. Die Männer blickten einander an. Keiner sprach. Sie wussten, alles hing davon ab, ob die Rotoren die Beanspruchung aushielten. Der Steuerraum erbebte plötzlich, als schlüge ein stählerner Hammer wie rasend auf ihn ein. Die dicke konvexe Linse des letzten Bildschirms bedeckte sich mit einem dichten Spinnennetz von Rissen, ihre Phosphorscheibe erlosch. Von unten her drang der blasse Schimmer der Havarielampen herauf und warf die vergrößerten Schatten der Männer gegen die schrägen Wände. Das Dröhnen ging in ein Brüllen über. Unter ihnen schabte etwas, zerbrach, spaltete sich mit einem metallischen Schrillen. Der Rumpf flog, von einem scheußlichen Schütteln gepackt, blind weiter, wie tot. Sie duckten sich, hielten den Atem an. Völlige Finsternis und Chaos herrschten. Ihre Körper schossen plötzlich an den langen Nylonleinen nach vorn, fast wären sie gegen die zerschmetterten Schalttafeln geprallt. Dann baumelten sie, sanft schaukelnd, wie schwere Uhrpendel in den Raum … Die Rakete kippte um wie ein stürzender Berg. Der Donner schien aus der Ferne zu kommen, schwach rollend. Die hochgeschleuderten Erdmassen glitten am Außenpanzer entlang. Alles erstarrte. Unter ihnen zischten die Leitungen. Etwas gluckste entsetzlich, schnell, immer schneller. Das Rauschen abfließenden Wassers, vermischt mit ohrenbetäubendem, sich immerfort wiederholendem Zischen, wie wenn eine Flüssigkeit auf glühende Bleche tropfte. »Wir leben«, sagte der Chemiker. Er sprach das in völlige Dunkelheit. Man sah nicht das geringste. Er hing in seinem Nylonnetz wie in einem Sack, der an vier Zipfeln mit Seilen verknüpft ist. Er schloss daraus: Die Rakete lag auf der Seite. Etwas klickte. Ein blasses Benzinflämmchen über dem alten Feuerzeug des Doktors. »Die Besatzung?« fragte der Koordinator. Ein Seil seines Netzes war gerissen. Er drehte sich langsam, war ganz hilflos. Vergebens versuchte er, durch die Maschen hindurch sich an der Wand festzuhalten. »Erster«, rief der Ingenieur. »Zweiter«, rief der Physiker. »Dritter«, der Chemiker.
    »Vierter«, der Kybernetiker; er hielt sich die Stirn. »Fünfter«, meldete sich als letzter der Doktor. »Alle. Ich gratuliere.« Die Stimme des Koordinators klang ruhig. »Die Automaten?« Stille.
    »Die Automaten?« Schweigen. Der Doktor verbrannte sich die Finger am Feuerzeug. Er machte es aus. Wieder war es dunkel.
    »Habe ich nicht immer gesagt, dass wir aus besserem Material sind«, sprach der Doktor in die Dunkelheit hinein. »Hat jemand von euch ein Messer?« »Ich … Die Seile durchschneiden?«
    »Wenn du ohne Durchschneiden herauskommst, um so besser. Ich kann es nicht.« »Ich versuche es.«
    Der Chemiker zerrte an den Seilen. Sein Atem ging schneller. Etwas klopfte. Glas klirrte. »Ich bin unten. Das heißt auf der Wand«, meldete er sich aus dem Schacht der Finsternis. »Doktor, leuchte mal, dann helfe ich euch.« »Aber beeil dich, das Benzin ist bald alle.«
    Das Feuerzeug flammte wieder auf. Der Chemiker machte sich am Schlafsack des Koordinators zu schaffen, reichte aber nur bis an dessen Beine. Schließlich gelang es ihm, den Reißverschluss ein Stück zu öffnen, der Koordinator plumpste auf die Füße. Zu zweit ging es schneller. Wenig später standen sie alle auf der schrägen, mit halbelastischer Masse belegten Wand des Steuerraums. »Womit fangen wir an?« fragte der Doktor. Er presste die Wundränder auf der Stirn des Kybernetikers zusammen und heftete ein Pflaster darauf. Er hatte es in der Tasche. Kleinkram trug er immer bei sich.
    »Wir stellen erst mal fest, ob es uns gelingt, hinauszukommen«, entschied der Koordinator. »Zunächst brauchen wir Licht. Was? Schon? Doktor, leuchten Sie hierher, vielleicht ist in den Kabelenden der Schalttafel noch Strom oder wenigstens im Regler der Alarmanlage.« Diesmal gab das Feuerzeug nur Funken her. Der Doktor rieb sich die Finger wund. Die Funken sprühten über den Resten der zertrümmerten Schalttafel, an denen der Koordinator und der Ingenieur kniend kramten. »Ist Strom?« fragte der Chemiker. Er stand hinten, weil kein Platz mehr für ihn war.
    »Vorläufig nicht. Hat denn keiner Streichhölzer?« »Streichhölzer habe ich vor drei Jahren zum letzten Mal gesehen. Im Museum«, nuschelte der Ingenieur; er versuchte gerade, mit den Zähnen die Isolierung von einem Leitungsende abzureißen. Plötzlich zuckte
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